Montag, 10. August 2015

PROCOL HARUM - Procol Harum/Shine On Brightly (1967/68 - Reissue 2015)

Procol Harums eponymöses Debütalbum, das in meiner verstaubten Repertoire-CD-Version noch "A Whiter Shade Of Pale" hieß, obwohl dies der Titel der späteren, um eben jene berühmte Single ergänzten Neuausgabe war, wurde in diesen Tagen zusammen mit den Folgealben "Salty Dog" und "Home" von den britischen Reissue-Spezialisten Esoteric Records als 2CD-Digipak neu veröffentlicht mit vielen bisher unveröffentlichten Bonustracks. Da lohnt sich schon ein näherer Blick.

CD1 beginnt mit dem bekannten Album selbst in der gewohnten Mono-Fassung - obwohl Stereo 1967 durchaus schon üblich war, hielt Producer Denny Cordell damals wohl nichts davon. Also gab es keinen Stereomix bis offenbar 1971 - einige der Stereo-Bonustracks tragen den entsprechenden Zusatz. Schön ist, dass die Tracklist hier streng dem UK-Original folgt - ohne die Singles A Whiter Shade of Pale und Homburg, die samt B-Seiten die ersten Bonustracks darstellen, natürlich ebenfalls in Mono und mit allen Songs in der ursprünglichen Reihenfolge.

Das Booklet liefert dazu viele interessante Infos - so war mir z.B. unbekannt, dass die berühmte Debutsingle, die sofort #1 in UK und #5 in US war, noch mit einer vorläufigen Band-Besetzung ohne Gitarrist Robin Trower und Drummer B.J.Wilson aufgenommen war, die erst später dazustießen (in den Videos dazu sind sie aber schon vertreten). Interessant ist auch die Geschichte des Tantiemen-Streits zu A Whiter Shade of Pale - bekanntlich hat Matthew Fisher in 2005 Klage eingereicht, weil sein Orgelspiel seiner Meinung nach eine Mitautorenschaft rechtfertigen würde - in letzter Instanz hatte das House of Lords 2009 schließlich zu seinen Gunsten entschieden, jedoch bekommt er die Tantiemen erst ab 2005, weil er so lange mit der Klage gewartet hatte. Nun ist A Whiter Shade of Pale ja ein Amalgam aus mehreren Stücken von J.S.Bach, das ändert meiner Meinung nach aber nichts daran, dass die Orgelmelodie, die unbestritten Fishers eigene Schöpfung ist, hier so prägnant ist, dass er von Anfang an als Mitautor hätte gelten müssen. Das gleiche gilt auch, finde ich, für einige andere Stücke des Albums.

Obwohl das Booklet sicherlich informativ ist, halte ich Chris Welchs Begleittext zur Repertoire-CD von 1997 wesentlich gelungener und interessanter. Dort zitiert er z.B. Gary Brooker, der ein wenig beklagt, dass sie die Stücke für das Album zwei Jahre lang komponiert, arrangiert und eingeübt hatten und es letztlich in nur zwei Tagen ohne Zeit für besondere Sorgfalt praktisch live aufnehmen mussten. Brooker bedauert an anderer Stelle auch die Entscheidung, die Singles nicht mit auf das ursprüngliche Album zu packen. Auch wenn dies in den 1960er Jahren gängige Praxis war, habe dies doch deutlich die Verkaufszahlen des Albums beeinträchtigt. Das Esoteric-Booklet listet zudem zwar die Bonustracks auf, geht aber nicht allzu tief ins Detail, was die Entstehung der jeweiligen Aufnahmen angeht - so wüsste ich gern, zu welchem Anlass diese "1971 Stereo Mixes" erfolgt waren und ob es sich dabei um dieselben Takes des Monoalbums oder um Alternativtakes handelt.

Vor Jahren hatte ich auf einem Greatest-Hits-CD-Sampler eine Stereoversion von A Whiter Shade of Pale entdeckt, den ich mir jedoch nicht gekauft hatte, weil ich solche Sampler nicht besonders mag. Dennoch hatte ich später diesen Sampler gesucht, aber nie wieder gefunden. Zwar ist die berühmte Monofassung der Single und der US-Version des Albums schon toll genug, aber die Alternativ-Version, mit der hier CD2 beginnt, ist nicht nur astrein abgemischtes Stereo (Hammond links, Vocals, Bass und Drums Mitte, Piano rechts), sondern mit über sechs Minuten Laufzeit fast zwei Minuten länger und hat zudem ein richtiges Ende mit Ritardando und allem Drum und dran - die mitten im Vocalpart ausgeblendete Single hatte mich in dieser Hinsicht immer gestört. Unterschiede in der Performance sind hörbar, aber nur gering - umwerfend gut ist die Soundqualität dieser Aufnahme.

Fast alle Songs des Albums und beide Single-A-Seiten finden sich als Stereoversionen unter den Bonustracks, Homburg sogar in zwei verschiedenen Stereofassungen, von denen die erste, als "extended" markierte, dann doch deutlich zu lang ist, weil sie zu viele zu wenig variierte Wiederholungen aufweist. Zumal stört hier auch der Drumsound, der fast klingt wie die berühmten Drumcomputer aus den 1980er Jahren. Besser gelungen ist der "1971 Stereo Mix", kürzer und deutlich näher am Original. Am besten gefällt mir jedoch She Wandered Through The Garden Fence mit seinem trocken-humorvollen Text, dessen lakonischer Vortrag mich immer wieder lachen lässt. Kostprobe:
Zitat:
And though I said, 'You don't exist,' she grasped me firmly by the wrist and threw me down upon my back and strapped me to her torture rack. And, without further argument I found my mind was also bent...
Überzeugend und nicht weniger interessant auch die BBC-Session-Tracks am Ende von CD2 - sie beginnen gleich mit einer tollen Version von Tim Hardins Klassiker Morning Dew, dann folgt eine inspirierte Version von A Whiter Shade... - diesmal sogar dank Robin Trower mit hörbarer Gitarre. She Wandered Through... ist schließlich die Überraschung der zweiten BBC-Session, hier deutlich schneller als das Original, aber genauso überzeugend eingespielt.

Zur Aufmachung - die ist nahezu perfekt. Anders als fast alle CD-Releases dieses Albums gibt es hier das Front-Artwork in der unbeschnittenen Fassung - fast überall sonst ist das Blumen-Ornament oder das weiße Kleid am unteren Rand angeschnitten (siehe auch Abb. oben), oft ist das Blattwerk oberhalb des Schriftzugs verändert. Auch hier gibt es wieder ein aufklappbares Poster mit den Songtexten auf der Rückseite. Das Digipack ist mehrfach aufklappbar und enthält Poster und Booklet eingeschoben in einen Schlitz unterhalb zweier Farbfotos der Band in psychedelisch-zeitgemäß bunten Konstümen. Sehr hübsch und sorgfältig gemacht - ein stabiler Schuber drumherum wäre natürlich noch schöner gewesen.

Stabil ist jedenfalls die Verpackung von "Shine On Brightly", dem zweiten Album. Es kommt in einer sog. "Clamshell"-Box (im Grunde eine Pappschachtel mit Pizzakarton-Mechanik), als 3CD-Version. Jede CD darin hat eine eigene Papphülle - CD1 mit dem "normalen" UK-Artwork (s.o.) beinhaltet das Album in der Stereoversion plus drei Bonustracks, CD2 hat die Monoversion als digitale Erstveröffentlichung (die Papphülle zeigt das US-Cover) und CD3, versehen mit einem Alternativmotiv des US-Covers, bietet 17 weitere Bonustracks, darunter als Erstveröffentlichung acht Aufnahmen von verschiedenen BBC-Sessions aus dieser Zeit. Als Beilagen gibt es ein Poster mit dem vergrößerten Albumcover, das auch die Texte enthält, ein paar Kärtchen mit zeitgenössischen Konzertplakatmotiven, sowie ein höchst informatives Booklet mit Anmerkungen zu allen Aufnahmen.

Der Sound ist auch hier klasse, besonders wenn man bedenkt, dass die Aufnahmen aus den Jahren 1967-68 stammen. Die Geschwindigkeits-Probleme, die die letzten Remaster-Ausgaben von Salvo Records offenbar hatten (das Album lief etwas zu schnell, entsprechend etwa einen Viertelton zu hoch, während die Bonustracks OK waren), sind hier behoben. Für mich gab es hier viel zu entdecken - insbesondere die Texte von Keith Reid sind voller Wortwitz und pointierten Einfällen und Gary Brookers Stimme, in etwa zu vergleichen mit der von Steve Winwood, bringt sie gekonnt rüber. Macht Spaß.