Ist es wirklich so schwierig, in der Kunst originell/originär
zu sein? - ich glaube nicht, denn wenn es nicht originell ist, ist es nicht Kunst, sondern
Kitsch (siehe auch Stichwort "Originalitätszwang"). Das ist das ganze Dilemma des Eurovision Song Contests, denn da ist so gut wie nichts originell und damit wirklich sehenswert. - Wobei: auch Kitsch hat natürlich seine Daseinsberechtigung, solange es
Leuten gefällt. Die Frage ist nur, ob man sowas europaweit und mit diesem ungeheuren Aufwand präsentieren und feiern muss.
Hauptproblem bei den meisten ESC-Beiträgen ist ja gerade, dass es sich
um Konsens-Stücke handelt, denen man jeden Wagemut und Exzentrik früh
ausgetrieben hat, damit sie das nivellierende Plebiszit in Form von
Vorauswahlen, Semifinals und Finale überstehen. Daher ist das trübe
Mucke von der Schlager- oder Disco-Stange. Gewagt wird da bestenfalls
noch mit der Performance/Präsentation,
aber auch da habe ich auch in diesem Jahr nichts gesehen, was über vordergründig-platte
Effekthascherei hinausgeht. Damen mit Vollbart (mit oder ohne Unterleib)
gab es schon vor 120 Jahren auf den Rummelplätzen dieser Welt und "Sex sells" ist auch nicht wirklich eine neue Erkenntnis. Trotzdem gibt es
immer wieder unmotivierte Dekogestalten wie damals Dita von Teese oder jetzt
hier die polnischen Wasch-Schlampen mit ihren prachtvollen Dekolletés.
Das finde ich in erster Linie peinlich. Das größte Fremdschämpotential
hatte definitiv der Auftritt der Franzosen. Keine Ahnung, wie die es
geschafft haben, dafür Freigang aus der Geschlossenen zu bekommen.
Es ist doch immer wieder erstaunlich, dass die Abfrage der nationalen Votings
deutlich interessanter ist als die eigentlichen Darbietungen. Ich habe mir schon lange angewöhnt, erst dann einzuschalten, wenn das Ranking-Quizspielchen losgeht. Vorher kann man sich gefühlte 20 Mal den Schnelldurchgang anschauen; das allein ist zwar schon genug schwere Kost, aber ganz ohne Musik kann man sich ja auch keine Vorstellung des Elends machen.
Früher gab es beim ESC zwar nicht weniger schlechte Musik, aber die
teilnehmenden Nationen waren in gewisser Weise stolz darauf, sich mit
einem Minimum an landestypischen Eigenheiten und Traditionen zu präsentieren.
Da gab es wenigstens etwas Abwechslung. Heute erklingt quer durch
Europa der gleiche, langweilige Disco-Shit und sogar die Russen singen
auf Englisch. Da verwundert es auch nicht, wenn die überwältigende Mehrheit der beteiligten "Musiker"
anschließend komplett in der kollektiven Vergessenheit verschwindet.
Ich hatte 2011 die Gelegenheit, im Pressezentrum des ESC in
Düsseldorf zu arbeiten, was durchaus Spaß gemacht hat, denn die Stimmung
vor Ort war klasse und alle hatten extrem gute Laune. Dabei ist mir
klargeworden, dass der ESC in erster Linie ein Mega-Party-Event ist - um
Musik geht es dabei nicht.
Wahrscheinlich gehöre ich aber nur nicht zur ESC-Zielgruppe, ist schon klar... ;)