Der Nachfolger des unerwartet erfolgreichen Genesis-Albums
A Trick Of The Tail
erschien in den USA bereits einige Tage vor der Jahreswende 1976/77,
wurde in Europa jedoch erst Anfang Januar 1977 veröffentlicht. Daher
findet man als Erscheinungsjahr oft beide Angaben. Aufgenommen wurde die
LP direkt im Anschluss an die erfolgreiche Trick-Tour im Herbst 1976. Am 1.1.1977 startete dann die
Wind & Wuthering-Tournee,
noch bevor das Publikum eine echte Chance gehabt hatte, das neue
Material zu hören, mit einem dreitägigen Gastspiel im Londoner
„Rainbow“.
Das Album wurde seinerzeit kritisch aufgenommen. War
A Trick Of The Tail in
der Mehrheit gelobt worden, vor allem, weil sowohl Kritik als auch die
Fangemeinde ihren Hut zogen vor der mutigen Entscheidung, den Drummer
zum Frontmann und Lead-Sänger zu befördern, war der Nachfolger ein wenig
wie das zweite Album einer Newcomer-Band, die sich nach überragendem
Debüt-Album beweisen musste, keine Eintagsfliege zu sein. Zugleich wehte
ihnen zum ersten Mal auch ein etwas unangenehm riechender Wind von
Seiten der englischen Musikpresse entgegen. Im Dezember 1976 war die
erste Single der Sex Pistols -
Anarchy In The UK nach
wochenlangen schlagzeilen-intensiven Querelen mit verschiedenen
Plattenfirmen erschienen und hatte Punk zum alles beherrschendem
Tagesthema gemacht, das plötzlich alles bisher in der populären Musik
Gewesene vor allem in den Medien in Frage stellte.
Genesis hatten das nicht kommen sehen; ihr neues Album war
„nur“ eine solide Fortschreibung des erfolgreichen Vorgängeralbums, das
wiederum im Grunde nur eine Weiterentwicklung des 1973er
Selling England By The Pound war (die Experimente des 74er Konzeptwerks
The Lamb Lies Down On Broadway wollte man offenbar lieber nicht weiter vertiefen). Fundamental Neues oder gar Revolutionäres findet sich nicht auf
Wind & Wuthering,
damit ließen sich Genesis noch vier weitere Jahre Zeit. Unbeirrt von den
Wirren der musikalischen Gegenwart wurden hier erneut epische Werke von
britischen Adligen, vermeintlichen Heilanden, Monstermäusen und anderen
kryptischen Unwirklichkeiten präsentiert – Kanonenfutter für die
Musikpresse. Dass sich ein Song immerhin mit der Realität des
amerikanischen Fernsehens ironisierend auseinandersetzte (Blood On The Rooftops) und ein ziemlich unironisches, eher schlicht gehaltenes Liebeslied sogar als Single ausgekoppelt wurde (Your Own Special Way), ließ sich in Wahrnehmung und Berichterstattung leicht ausblenden. Dass die hervorragenden Instrumentals
Wot Gorilla? und das zweiteilige, Jazzrock-orientierte
Unquiet Slumbers For The Sleepers … In That Quiet Earth die gute Tradition von
Los Endos fortsetzten, ließ man im allgemeinen Lamento ebenfalls gern unberücksichtigt.
Dennoch wurde das Album von den Fans allmählich akzeptiert und
konnte schließlich bei den Verkaufszahlen gegenüber Trick noch zulegen.
Klar war aber, dass die Zeit, in der Genesis-Platten noch von der Kritik
gelobt worden waren, mit diesem Album endgültig vorbei war.
Immerhin vier „Klassiker“ warf
Wind & Wuthering ab (also Songs, die sich auch bei späteren Tourneen noch im Repertoire befanden:
Eleventh Earl Of Mar, One For The Vine und die grandiosen
In That Quiet Earth und
Afterglow). Singles
außer der bereits genannten wurden weiter nicht ausgekoppelt, allerdings
erschien im Sommer 1977, noch während der laufenden Tournee die E.P.
Spot The Pigeon mit drei Outtakes der
Wind & Wuthering Sessions: War bei
Match Of The Day und
Pigeons noch ziemlich klar, warum diese es nicht bis auf das Album geschafft hatten, fragte man sich doch verwundert, warum
Inside And Out nicht
berücksichtigt worden war - ein grandioses, musikalisch zweigeteiltes
Werk, das als sanfte, akustische Ballade begann und nach sieben Minuten
in einem furiosen Instrumentalteil endete. Viele Fans hätten es lieber
auf dem Album gesehen, gern statt
Your Own Special Way, das nie ein Fan-Favorit war. Immerhin wurde
Inside And Out nach dem Erscheinen der E.P. in die aktuelle Setlist integriert (
All In A Mouse’s Night musste dafür dran glauben) und kam so wenigstens live zu angemessenen Ehren.
Die neuen Mixe
Nick Davis hatte bereits vor dem Erscheinen der SACD angekündigt, dass
Wind & Wuthering
von der Neuabmischung seiner Meinung nach am meisten profitiert habe –
zumindest für das erste Box-Set kann man dies problemlos nachvollziehen.
Im Vergleich zu den Original-Mixes hat sich bei
Wind auch am meisten
verändert. Collins’ Stimme ist wesentlich klarer und präsenter als
früher, die Musik klingt weniger muffig und insgesamt ausgewogener.
Erstmals sind alle Instrumente deutlich voneinander zu unterscheiden –
der Original-Producer David Hentschel hatte offenbar mehr Wert darauf
gelegt, sie ineinander zu verschmelzen, leider oft zu einem ziemlich
matschigen Brei, vor allem in den unteren Mitten.
Die 5.1-Mischung gefällt durch die kluge und ausgewogene
Verwendung der Surround-Lautsprecher, oft liegen hier Teile der
Keyboard-Flächen, Mellotron-Chöre oder auch kurze Effekt-Sounds oder
Stimmen, die momentan für Aufmerksamkeit sorgen. So flüstern die Worte
„Eleventh Earl of Mar, couldn’t get them very far“ plötzlich und
unerwartet aus den Surround-Speakern, was die Angelegenheit noch einen
Tick unheimlicher erscheinen lässt. Collins Leadvocals haben konsequent,
wie bei den anderen Surround-Remixes auch, den Center-Speaker für sich
allein. Effekte auf seiner Stimme, die bei Wind & Wuthering generell nur spärlich eingesetzt sind, werden auf die beiden Frontspeaker links und rechts verteilt. Spätestens bei
One For The Vine fällt
auf, dass die Leadvocals erheblich an Klarheit gewonnen haben und
deutlich weiter in den Vordergrund gestellt sind als beim Originalmix -
dieser klingt im direkten Vergleich dazu so, als hätte Hentschel
seinerzeit noch nicht so recht Vertrauen in Collins’ stimmliche
Fähigkeiten gehabt und ihn deshalb eher zurückhaltend abgemischt.
Die Drums sind voller, knackiger und, vom Center abgesehen, auf
alle Lautsprecher verteilt, die Becken liegen oft (aber nicht immer)
auf den Surrounds. Sehr schön gemischt auch der Percussion-Part in
One For The Vine – hier
klackert es heftig aus allen Boxen, jedoch klingt der Originalmix
(Definitive Edition Remaster-Serie von 1994) ausgerechnet und
ausschließlich hier deutlich präsenter und in den Höhen brillianter als
der Remix. Interessant ist bei diesem Song auch das
Schluss-Gitarrensolo, das raumfüllend von überall her zu kommen scheint –
und sich dann bei genauem Hinhören als ein Duett mit der Orgel
entpuppt, hier sind beide Instrumente räumlich voneinander getrennt und
daher zum ersten Mal zu unterscheiden.
Ähnliches lässt sich auch bei
All In A Mouse’s Night
beobachten, hier fällt erstmals auf, dass Steve beim Schluss-Solo nach
„took one blow“ eine Terz unter der Orgel spielt, die sein Solo doppelt.
Hin und wieder scheinen sich Instrumente zu bewegen. So beginnt Tonys
CP-70 Piano während des Marsch-Rhythmus von
All In A Mouse’s Night hinten und gleitet dann herüber zu den Frontspeakern.
Your Own Special Way
klingt hübsch akustisch, obwohl die Hauptgitarre eine elektrische ist,
die sowohl vorn als auch hinten zu hören ist. Glockenspiel, Orgel und
Backing Vocals kommen wie erwartet wieder von hinten, interessanterweise
auch die Resonanz der Bassdrum.
Wot Gorilla ist
raumgreifend, auch hier Percussion-Sounds rings herum; ein fabelhaftes,
oft zu Unrecht unterschätztes Stück. Sehr angenehm übrigens die lange
Pause danach vor
All In A Mouse’s Night.
Hier war einst die erste LP-Seite zu Ende und das Vinyl musste
umgedreht werden, was normalerweise um Einiges länger dauerte als die
2-sec-Standardpause auf CDs.
Klassisch erscheint der Mix des Nylon-Gitarren-Intros von
Blood On The Rooftops in
fast reinem Stereo, nur minimal lässt sich hinten ein Teil des
Halleffekts vernehmen. Die danach einsetzenden Keyboards, immer ein
wenig zu süßlich, sind dagegen raumfüllend.
Unquiet Slumbers For The Sleepers… erklingt
sehr dicht und atmosphärisch. Die Keyboard-Melodie erinnert an einen
kalten Windhauch, rund herum Gitarren und von vorn rechts setzen
Paukenschläge ein. Das erzeugt eine Stimmung, die sehr gut mit der
Covergrafik korreliert.
…In That Quiet Earth dagegen ist wieder fast nur Stereo mit nur ein wenig Hall im Surround.
Afterglow hat sich
stark verändert, die Drums sind mächtiger und räumlicher, der
Mellotronchor überall. Nach der letzten Gesangszeile „I miss you more“
ist dann plötzlich eine E-Gitarre zu hören, die im Originalmix fehlte.
Sie setzt die langsame Jingle-Jangle-Melodie der vorherigen Strophen
fort. - Das ist schon eine Überraschung, man fragt sich natürlich
sofort, warum diese Gitarre beim Originalmix weggelassen wurde. Eine
Erklärung könnte sein, dass der nach dem Gesang beginnende Schlussteil
bewusst anders klingen sollte als der vorhergehende Part – live beginnen
hier immer die Double-Drums, die den Song zum Höhepunkt treiben. Die
hier nunmehr wieder hinzugefügte Gitarre fügt die Teile wieder ein wenig
mehr zusammen, lässt den Unterschied geringer erscheinen. Da die
Studiofassung natürlich keine Double-Drums aufweist und Collins’ Stimme
sich bei „I miss you more“ auch nach unten senkt (live geht’s hier immer
nach oben, fast wie ein Aufschrei), plätschert
Afterglow nun einfach weiter und ergibt sich der Ausblende.
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