Montag, 27. August 2007

GENESIS - Wind & Wuthering (1977/2007)

Der Nachfolger des unerwartet erfolgreichen Genesis-Albums A Trick Of The Tail erschien in den USA bereits einige Tage vor der Jahreswende 1976/77, wurde in Europa jedoch erst Anfang Januar 1977 veröffentlicht. Daher findet man als Erscheinungsjahr oft beide Angaben. Aufgenommen wurde die LP direkt im Anschluss an die erfolgreiche Trick-Tour im Herbst 1976. Am 1.1.1977 startete dann die Wind & Wuthering-Tournee, noch bevor das Publikum eine echte Chance gehabt hatte, das neue Material zu hören, mit einem dreitägigen Gastspiel im Londoner „Rainbow“.
Das Album wurde seinerzeit kritisch aufgenommen. War A Trick Of The Tail in der Mehrheit gelobt worden, vor allem, weil sowohl Kritik als auch die Fangemeinde ihren Hut zogen vor der mutigen Entscheidung, den Drummer zum Frontmann und Lead-Sänger zu befördern, war der Nachfolger ein wenig wie das zweite Album einer Newcomer-Band, die sich nach überragendem Debüt-Album beweisen musste, keine Eintagsfliege zu sein. Zugleich wehte ihnen zum ersten Mal auch ein etwas unangenehm riechender Wind von Seiten der englischen Musikpresse entgegen. Im Dezember 1976 war die erste Single der Sex Pistols -  Anarchy In The UK nach wochenlangen schlagzeilen-intensiven Querelen mit verschiedenen Plattenfirmen erschienen und hatte Punk zum alles beherrschendem Tagesthema gemacht, das plötzlich alles bisher in der populären Musik Gewesene vor allem in den Medien in Frage stellte.

Genesis hatten das nicht kommen sehen; ihr neues Album war „nur“ eine solide Fortschreibung des erfolgreichen Vorgängeralbums, das wiederum im Grunde nur eine Weiterentwicklung des 1973er Selling England By The Pound war (die Experimente des 74er Konzeptwerks The Lamb Lies Down On Broadway wollte man offenbar lieber nicht weiter vertiefen). Fundamental Neues oder gar Revolutionäres findet sich nicht auf Wind & Wuthering, damit ließen sich Genesis noch vier weitere Jahre Zeit. Unbeirrt von den Wirren der musikalischen Gegenwart wurden hier erneut epische Werke von britischen Adligen, vermeintlichen Heilanden, Monstermäusen und anderen kryptischen Unwirklichkeiten präsentiert – Kanonenfutter für die Musikpresse. Dass sich ein Song immerhin mit der Realität des amerikanischen Fernsehens ironisierend auseinandersetzte (Blood On The Rooftops) und ein ziemlich unironisches, eher schlicht gehaltenes Liebeslied sogar als Single ausgekoppelt wurde (Your Own Special Way), ließ sich in Wahrnehmung und Berichterstattung leicht ausblenden. Dass die hervorragenden Instrumentals Wot Gorilla? und das zweiteilige, Jazzrock-orientierte Unquiet Slumbers For The Sleepers … In That Quiet Earth die gute Tradition von Los Endos fortsetzten, ließ man im allgemeinen Lamento ebenfalls gern unberücksichtigt.
Dennoch wurde das Album von den Fans allmählich akzeptiert und konnte schließlich bei den Verkaufszahlen gegenüber Trick noch zulegen. Klar war aber, dass die Zeit, in der Genesis-Platten noch von der Kritik gelobt worden waren, mit diesem Album endgültig vorbei war.

Immerhin vier „Klassiker“ warf  Wind & Wuthering ab (also Songs, die sich auch bei späteren Tourneen noch im Repertoire befanden: Eleventh Earl Of Mar, One For The Vine und die grandiosen In That Quiet Earth und Afterglow). Singles außer der bereits genannten wurden weiter nicht ausgekoppelt, allerdings erschien im Sommer 1977, noch während der laufenden Tournee die E.P. Spot The Pigeon mit drei Outtakes der Wind & Wuthering Sessions: War bei Match Of The Day und Pigeons noch ziemlich klar, warum diese es nicht bis auf das Album geschafft hatten, fragte man sich doch verwundert, warum Inside And Out nicht berücksichtigt worden war - ein grandioses, musikalisch zweigeteiltes Werk, das als sanfte, akustische Ballade begann und nach sieben Minuten in einem furiosen Instrumentalteil endete. Viele Fans hätten es lieber auf dem Album gesehen, gern statt Your Own Special Way, das nie ein Fan-Favorit war. Immerhin wurde Inside And Out nach dem Erscheinen der E.P. in die aktuelle Setlist integriert ( All In A Mouse’s Night musste dafür dran glauben) und kam so wenigstens live zu angemessenen Ehren.

Die neuen Mixe

Nick Davis hatte bereits vor dem Erscheinen der SACD angekündigt, dass Wind & Wuthering von der Neuabmischung seiner Meinung nach am meisten profitiert habe – zumindest für das erste Box-Set kann man dies problemlos nachvollziehen. Im Vergleich zu den Original-Mixes hat sich bei Wind auch am meisten verändert. Collins’ Stimme ist wesentlich klarer und präsenter als früher, die Musik klingt weniger muffig und insgesamt ausgewogener. Erstmals sind alle Instrumente deutlich voneinander zu unterscheiden – der Original-Producer David Hentschel hatte offenbar mehr Wert darauf gelegt, sie ineinander zu verschmelzen, leider oft zu einem ziemlich matschigen Brei, vor allem in den unteren Mitten.

Die 5.1-Mischung gefällt durch die kluge und ausgewogene Verwendung der Surround-Lautsprecher, oft liegen hier Teile der Keyboard-Flächen, Mellotron-Chöre oder auch kurze Effekt-Sounds oder Stimmen, die momentan für Aufmerksamkeit sorgen. So flüstern die Worte „Eleventh Earl of Mar, couldn’t get them very far“ plötzlich und unerwartet aus den Surround-Speakern, was die Angelegenheit noch einen Tick unheimlicher erscheinen lässt. Collins Leadvocals haben konsequent, wie bei den anderen Surround-Remixes auch, den Center-Speaker für sich allein. Effekte auf seiner Stimme, die bei Wind & Wuthering generell nur spärlich eingesetzt sind, werden auf die beiden Frontspeaker links und rechts verteilt. Spätestens bei One For The Vine fällt auf, dass die Leadvocals erheblich an Klarheit gewonnen haben und deutlich weiter in den Vordergrund gestellt sind als beim Originalmix - dieser klingt im direkten Vergleich dazu so, als hätte Hentschel seinerzeit noch nicht so recht Vertrauen in Collins’ stimmliche Fähigkeiten gehabt und ihn deshalb eher zurückhaltend abgemischt.

Die Drums sind voller, knackiger und, vom Center abgesehen, auf alle Lautsprecher verteilt, die Becken liegen oft (aber nicht immer) auf den Surrounds. Sehr schön gemischt auch der Percussion-Part in One For The Vine – hier klackert es heftig aus allen Boxen, jedoch klingt der Originalmix (Definitive Edition Remaster-Serie von 1994) ausgerechnet und ausschließlich hier deutlich präsenter und in den Höhen brillianter als der Remix. Interessant ist bei diesem Song auch das Schluss-Gitarrensolo, das raumfüllend von überall her zu kommen scheint – und sich dann bei genauem Hinhören als ein Duett mit der Orgel entpuppt, hier sind beide Instrumente räumlich voneinander getrennt und daher zum ersten Mal zu unterscheiden.
 Ähnliches lässt sich auch bei All In A Mouse’s Night beobachten, hier fällt erstmals auf, dass Steve beim Schluss-Solo nach „took one blow“ eine Terz unter der Orgel spielt, die sein Solo doppelt. Hin und wieder scheinen sich Instrumente zu bewegen. So beginnt Tonys CP-70 Piano während des Marsch-Rhythmus von All In A Mouse’s Night hinten und gleitet dann herüber zu den Frontspeakern.
Your Own Special Way klingt hübsch akustisch, obwohl die Hauptgitarre eine elektrische ist, die sowohl vorn als auch hinten zu hören ist. Glockenspiel, Orgel und Backing Vocals kommen wie erwartet wieder von hinten, interessanterweise auch die Resonanz der Bassdrum.
Wot Gorilla ist raumgreifend, auch hier Percussion-Sounds rings herum; ein fabelhaftes, oft zu Unrecht unterschätztes Stück. Sehr angenehm übrigens die lange Pause danach vor All In A Mouse’s Night. Hier war einst die erste LP-Seite zu Ende und das Vinyl musste umgedreht werden, was normalerweise um Einiges länger dauerte als die 2-sec-Standardpause auf CDs.
Klassisch erscheint der Mix des Nylon-Gitarren-Intros von Blood On The Rooftops in fast reinem Stereo, nur minimal lässt sich hinten ein Teil des Halleffekts vernehmen. Die danach einsetzenden Keyboards, immer ein wenig zu süßlich, sind dagegen raumfüllend.
Unquiet Slumbers For The Sleepers… erklingt sehr dicht und atmosphärisch. Die Keyboard-Melodie erinnert an einen kalten Windhauch, rund herum Gitarren und von vorn rechts setzen Paukenschläge ein. Das erzeugt eine Stimmung, die sehr gut mit der Covergrafik korreliert. …In That Quiet Earth dagegen ist wieder fast nur Stereo mit nur ein wenig Hall im Surround.  
Afterglow hat sich stark verändert, die Drums sind mächtiger und räumlicher, der Mellotronchor überall. Nach der letzten Gesangszeile „I miss you more“ ist dann plötzlich eine E-Gitarre zu hören, die im Originalmix fehlte. Sie setzt die langsame Jingle-Jangle-Melodie der vorherigen Strophen fort. - Das ist schon eine Überraschung, man fragt sich natürlich sofort, warum diese Gitarre beim Originalmix weggelassen wurde. Eine Erklärung könnte sein, dass der nach dem Gesang beginnende Schlussteil bewusst anders klingen sollte als der vorhergehende Part – live beginnen hier immer die Double-Drums, die den Song zum Höhepunkt treiben. Die hier nunmehr wieder hinzugefügte Gitarre fügt die Teile wieder ein wenig mehr zusammen, lässt den Unterschied geringer erscheinen. Da die Studiofassung natürlich keine Double-Drums aufweist und Collins’ Stimme sich bei „I miss you more“ auch nach unten senkt (live geht’s hier immer nach oben, fast wie ein Aufschrei), plätschert Afterglow nun einfach weiter und ergibt sich der Ausblende.

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