Sonntag, 23. Juni 2013

Technobabble: Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) IV

Wollen wir mal das Gesamtsystem Schallplatte betrachten:
Wie man aus dem Physikunterricht weiß, ist es prinzipiell nicht möglich, Energie von einer Form verlustfrei in eine andere zu überführen. Bei Vinyl passiert das mehrfach - und unter hohen Verlusten. Bereits beim Lackschnitt wird elektrische Energie in mechanische Energie gewandelt. Gleichzeitig wird der Frequenzgang des Audios extrem verbogen, damit das überhaupt möglich ist - die Bässe werden um 20 dB abgesenkt und die Höhen um den gleichen Betrag angehoben (20 dB entspricht Faktor 10 - die Bässe haben nur noch ein Zehntel, die Höhen das Zehnfache der ursprünglichen Lautstärke). Beim Abtasten auf dem heimischen Plattenspieler wird dann mechanische Energie wieder in elektrische Energie gewandelt. Leider ist von der ursprünglichen elektrischen Energie hier kaum noch etwas übrig, deshalb muss diese elektronisch um etwa den Faktor 1000 verstärkt werden. Ebenso muss der verbogene Frequenzgang mit einem entsprechenden Gegenfilter korrigiert werden. Analoge Filter verursachen jedoch immer Phasenverschiebungen, die sich auf die Präzision der Wiedergabe auswirken. Wie schon früher ausgeführt, kommt es beim Abspielen zu Verzerrungen, dazu kommen Störgeräusche wie Rillenrauschen und Knackser durch statische Aufladung und Staub. Auch das sind Veränderungen des Originalsignals.

Das Gesamtsystem Schallplatte verursacht also an mehreren Stellen mehr oder weniger starke Veränderungen am Audiosignal. Eine 1:1 Reproduktion des Studiomasters ist damit unmöglich, egal mit welcher Anlage. Dagegen verändert der Laserstrahl bei der CD-Abtastung das Audiosignal nicht, da er nicht das Audiosignal selbst abtastet, sondern stattdessen nur eine höchst präzise mathematische Beschreibung des Audiosignals, die auf der Disc in Form von winzigkleinen Buckeln und dazwischenliegenden Vertiefungen als Nullen und Einsen gespeichert ist.

Um das an dieser Stelle ganz deutlich zu sagen: anders als eine Vinyl-Schallplatte handelt es sich bei einer CD nicht um einen Tonträger, sondern um einen reinen Datenträger!

Der große Vorteil der Digitaltechnik ist daher, dass sich der Datenstrom aus lauter aneinander gereihten Nullen und Einsen, die der Analog-Digital-Wandler im Tonstudio erzeugt hat, völlig verlustfrei speichern, transportieren und vervielfältigen lässt. Denn erst im Abspielgerät des Kunden erzeugt ein Digital-Analog-Wandler daraus wieder ein hörbares Audiosignal. Alles was zwischen den beiden Wandlern stattfindet, ist für den Wohlklang völlig irrelevant - es kann nichts verändert werden - jedenfalls nicht unbeabsichtigt!

Die Fehlerkorrektur, die bei jeder Speicherung von Daten erforderlich ist, gleicht nur den Nachteil des jeweiligen Speichermediums aus. Bei optischen Datenträgern ist es natürlich erforderlich, dass Staub, Kratzer und Fingerabdrücke auf den Discs keine Störungen verursachen. Dazu bedient man sich mehrerer Tricks, zum Beispiel Prüfsummen. Auch werden Daten immer zu einem gewissen Anteil redundant gespeichert - wenn einzelne Bits (Nullen oder Einsen) nicht lesbar sein sollten, lässt sich der verlorene Wert so zweifelsfrei rekonstruieren. Auch das geschieht also verlustfrei - es sei denn eine Disc wäre zu stark verschmutzt oder verkratzt.

Eine Digitalaufnahme kommt in jedem Fall dem am Nächsten, was der Toningenieur, der Künstler, die Band, der Produzent entschieden hat - wie oben beschrieben, der A/D-Wandler steht im Tonstudio, der D/A-Wandler steht beim Hörer im Wohnzimmer. Mehr Klangtreue gäbe es nur noch, wenn der Hörer seinen gemütlichen Sessel direkt im Studio aufstellen könnte.

Der persönliche Geschmack spielt bei der Klangtreue keine Rolle - das darf er auch gar nicht!
Kein Mensch hört alle Frequenzen gleichermaßen gut - das menschliche Gehör ist vielmehr optimiert, Sprache zu verstehen, daher ist es im Bereich des menschlichen Stimmumfangs am Empfindlichsten (tatsächlich liegt Babygeschrei exakt auf der allerempfindlichsten Frequenz - evolutionsbedingt ein nachvollziehbarer Vorteil). Bässe und Höhen sind dagegen deutlich weniger empfindlich.

Für die Klangtreue ist es jedoch immens wichtig, dass die Kennlinien der Aufnahme- und Wiedergabegeräte in der gesamten Kette keine Frequenzen bevorzugen oder benachteiligen, denn nur dann bleibt das Klangerlebnis für den Hörer wirklich neutral. In der Analogtechnik war dies früher ein Zustand, der nur mit teurem Equipment und selbst damit nur annäherungsweise erreichbar war. Das führte zu mehr oder weniger großen Klang-Verfärbungen. Gute Wandler für die Digitaltechnik sind heutzutage jedoch billig und sie haben stets einen schnurgeraden Frequenzgang, sind daher völlig neutral.

Als "audiophil" bezeichnete sich zu Analogzeiten ein Liebhaber möglichst großer Klangtreue, der daher gleichzeitig auch bereit war, große Summen für sein Equipment auszugeben, auch wenn das nicht immer eine Verbesserung bedeutet hat. "Audiophile" haben leider immer wieder wahnhafte Ideen entwickelt, wie sich Wohlklang angeblich noch weiter steigern lässt, und so auch viel Geld für absoluten Humbug ausgegeben, beispielsweise für fingerdicke Lautsprecherkabel mit vergoldeten Anschlüssen. Gesteuert und gefördert wurde dieses Verhalten von den Audio- und Hifimagazinen, an deren Kompetenz es lange keinen Zweifel gegeben hatte, die jedoch mit dem Aufkommen der Digitaltechnik und der daraus resultierenden Erkenntnis, dass hervorragender Klang plötzlich auch mit einem Bruchteil des bisher eingesetzten Gelds möglich war, Einbußen im Anzeigengeschäft befürchteten und daher viele der erwähnten Wahnideen selbst entwickelten - wie etwa der berühmte Filzstift, mit dem man ernsthaft CDs am Rand bemalen sollte. Oder es wurden gebrannte CD-Rohlinge auf Klangunterschiede getestet - die dann natürlich auch angeblich festgestellt wurden und natürlich waren die teuren Markenrohlinge die bestklingenden. Da Musik heute oft auf USB-Sticks transportiert wird, würde es mich nicht wundern, wenn es da inzwischen auch schon entsprechende Vergleichstests gegeben hätte.

Hifi-Anlagen sind verglichen mit der Anfangszeit der Stereotechnik inzwischen völlig ausgereift und daher gibt es auch nur noch wenig Schwankungen in der Qualität. Preisunterschiede enstehen hauptsächlich durch die Anzahl der Anschlüsse und der eingebauten Features. Sicherlich lässt sich auch der Sound beeinflussen, aber das geht nicht mehr so unkompliziert wie früher mittels Bass-, Mitten- und Höhenregler, ohne die Verstärker in der Analogzeit nicht auskamen. Moderne A/V-Receiver lassen diese Möglichkeiten und noch viele mehr jedoch durchaus zu - schlechte Basswiedergabe eines Lautsprechers kann man also nach wie vor kompensieren. War das früher jedoch Geschmacksache, werden heutige A/V-Receiver meist mit einem Messmikrofon geliefert, das am Hörplatz aufgestellt wird und die Kompensation macht der Receiver dann automatisch gemäß der ermittelten Kennlinie. Was nicht heißt, dass man nicht der Meinung sein darf, mehr Bässe wären toll - nur hat man dann keine neutral eingestellte Anlage mehr, sobald man die einmal aufgedreht hat.


Die nächsten Folgen dieser Serie:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) V
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VI
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VII
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VIII 

Die früheren Folgen:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) I
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) II
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) III

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