Montag, 24. Juni 2013

Technobabble: Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) V

...ein Bekannter, Besitzer einer High-End-Anlage, versuchte mir einst zu erklären, dass der Laser bei den teuren Markenrohlingen aufgrund der Materialeigenschaften "weicher" reflektiert würde und der Klang darum wärmer sei...
Zu diesem Thema war ich ja schon am Ende von Teil IV gekommen. Diese Rohling-Geschichte ist bezeichnend dafür, wie wenig der Laie überhaupt versteht, was Digitaltechnik bedeutet und wie sie wirklich funktioniert. Natürlich klingt jeder Rohling exakt gleich - weil er nämlich überhaupt nicht klingt! Das ist das Grundmissverständnis! Der Klang entsteht erst im D/A-Wandler und der ist ja nicht Bestandteil der Disc, sondern des Players - oder sogar des AV-Verstärkers, wenn der Player mit einem Digitalkabel an diesen angeschlossen sein sollte.

Was in der Regel nicht verstanden wird, ist die Tatsache, dass Digital Audio nicht das Audiosignal selbst, sondern nur eine höchst präzise mathematische Beschreibung desselben speichert. Das hatte ich in Teil IV bereits erwähnt, wiederhole es hier aber noch einmal, weil ich im Folgenden auch erklären will, was das eigentlich bedeutet.


Toms kleiner Digitalkurs

Nehmen wir einmal ein Gemälde, das ein namhafter Künstler angefertigt hat. Um das Gemälde zu erfassen, wird zunächst ein Raster aus kleinen Quadraten darübergelegt. Dann wird die Farbe in jedem Quadrat gemessen und als Zahlenwert aufgeschrieben. Für jede Farbnuance gibt es einen anderen Zahlencode. Der Zettel mit den Zahlen wird dann einem anderen Maler in einem anderen Raum gegeben, der nun eine leere Leinwand mit identischen Abmessungen mit demselben Raster versieht und dann die Quadrate mit den Farben füllt, deren Code auf dem Zettel steht, quasi "Malen nach Zahlen". Wenn er das alles richtig macht, sieht sein Bild hinterher dem Original ziemlich ähnlich - obwohl er das Original nie gesehen hat!
Gut, dieses Bild hat er wahrscheinlich doch schon mal gesehen...
Wie ähnlich, hängt nicht vom Talent des zweiten Malers ab (oder wieviel man ihm bezahlt), sondern nur davon, wie fein das Raster ist und wieviele verschiedene Farbnuancen er aufgeschrieben bekommen hat. Macht man das Raster deutlich feiner als die feinste verwendete Pinselstrichstärke und die Farbpalette deutlich variantenreicher als die des Originalkünstlers, würde die Kopie vom Original nicht mehr zu unterscheiden sein.

Digitalfotografie funktioniert übrigens exakt nach diesem Prinzip - das Raster (die Auflösung) gibt der Sensor in Kamera oder Scanner vor und die Anzahl der für die Farbcodierung verfügbaren Bits bestimmt die Anzahl der möglichen Farbnuancen - in der Regel wird mit 8 Bit pro Farbe gespeichert, das macht 256 verschiedene Nuancen für jeweils Rot, Gelb und Blau, zusammen über 16 Millionen verschiedene Einzelfarben, die jedes Rasterfeld (das Pixel) annehmen kann.

Das ist übrigens auch der "Trick" bei der Mona Lisa oben im Bild. Die Rasterfelder in der linken und mittleren Version sind klar erkennbar, aber auch das "perfekte" Bild rechts ist ebenso gerastert (mit 200 x 150 Pixel), nur eben gerade so fein, dass es nicht erkennbar ist.

Digital Audio funktioniert ganz ähnlich, der Unterschied besteht nur in der Natur des "Gegenstands" an sich. Ein Bild ist ein statischer Eindruck auf der Netzhaut des Auges, man sieht alle Pixel gleichzeitig. Selbst ein Video ist nur eine rasche Abfolge einzelner statischer Bilder. Wenn man bei einem Video die Pause-Taste drückt, bekommt man ein Standbild, das man immer noch betrachten kann. Musik ist jedoch immer ein "zeitserieller" Eindruck. Das Gehör empfängt die schwingenden Luftdruckunterschiede in rascher zeitlicher Abfolge nacheinander. Pausiert man die Musik, bleibt da nichts mehr zum Hören, es entsteht Stille.
Dennoch lässt sich ein Audiosignal, genau wie ein Bild, digital erfassen, nur stehen die erfassten Zahlen nicht für die Farbe eines bestimmten Pixels, sondern jeweils für den Zustand des analogen Audiosignals zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ein elektrisches Audiosignal besteht ja aus nichts anderem als einer schwachen Wechselstromspannung, deren ständig schwankende Werte natürlich jederzeit gemessen werden können. Nichts anderes passiert im Analog-Digital-Wandler.

Ein analoges Audiosignal hat im Unterschied zu einem Bild also eine zeitliche Komponente, d.h. es gibt einen Verlauf von Spannungsänderungen, der in allen Ausprägungen erfasst werden muss. Dazu werden fortlaufend aktuelle "Schnappschüsse" (sogenannte "Samples") des Kurvenverlaufs gemacht und aufgeschrieben. Das passiert in einem festgelegten zeitlichen Abstand, der sog. "Sampling-Rate". Auch hier lautet die Faustregel, je häufiger ein Sample genommen wird und je genauer der Spannungswert der Signalkurve erfasst werden kann, desto eher ähnelt die übertragene "Kopie" dem analogen Original.
Das Audiosignal für die CD-Produktion hat eine festgelegte Sampling-Rate von 44100 Hz, was nichts anderes bedeutet als dass vierundvierzigtausendeinhundertmal pro Sekunde ein "Schnappschuss" des gegenwärtigen Kurvenzustands erfasst und aufgeschrieben wird. Für jedes Sample stehen bei der CD 16 Bit zur Verfügung, damit lassen sich 65535 verschiedene Spannungswerte, ähnlich der Farbnuancen, erfassen (das Ganze natürlich doppelt, denn jede CD hat zwei Kanäle, weil Stereo der Standard ist - Mono-Signale werden daher in zwei identischen Kanälen aufgezeichnet). SACD, DVD-Audio und Blu-Ray erlauben höhere Auflösungen, mit denen die Reproduktion noch genauer erfolgen kann.

Ein digitaler Datenstrom ist unter normalen Bedingungen völlig unempfindlich gegen äußere Einflüsse - Brummeinstreuungen, Frequenzeinbußen, Kabelimpedanzen, Übergangswiderstände - das spielt alles keine Rolle, denn das Signal ist viel simpler und damit deutlich robuster als ein analoges Audiosignal, das ja das gesamte hörbare Spektrum von 20-20000 Hz enthält und entsprechend anfällig für Klangverfälschungen auf dem Übertragungsweg ist. Ein Digitalsignal kennt dagegen nur zwei Zustände (entsprechend Null und Eins) und die Übertragung erfolgt mit einer einzigen, festen Frequenz. Handelt es sich um ein elektrisches Digitalsignal, gibt es daher nur zwei verschiedene Spannungsstufen, die übertragen werden müssen: "High" und "Low". Diese können auch bei schlechten elektrischen Übertragungseigenschaften oder Störungen von außen sicher unterschieden werden. Ob die Signalflanken steil oder verschliffen sind, spielt ebenfalls keine Rolle, auch Timingprobleme werden von der Eingangsstufe des Wandlers automatisch korrigiert. Deshalb kann man auch für eine normale SPDIF-Verbindung (Digitalkabel z.B. zwischen Player und Verstärker) unbesorgt das allerbilligste Cinch-Kabel verwenden, das man finden kann. Ähnlich siehts übrigens aus bei HDMI - dort fangen die Hersteller bereits wieder an, Auflösungen und Bildwiederholraten sowie Logos wie "3D" auf die Verpackungen zu drucken. Das ist derselbe Bullshit wie immer - jedes HDMI-Kabel seit Juni 2006 ist für 3D und alle derzeit üblichen Auflösungen und Frameraten natürlich gleich gut geeignet - weil es eben Datenübertragung ist.

Der Digital-Analog-Wandler hat am Ende der Kette nun die wichtige Aufgabe, aus den ankommenden Zahlenwerten (pro Sekunde bekommt er also pro Stereokanal 44100 mal einen von 65535 möglichen Werten zugespielt) wieder ein hörbares, analoges Audiosignal zu rekonstruieren. Dazu verfügt er an seinem Ausgang über einen Wechselstromgenerator, dessen jeweilige Spannungszustände aus den übertragenen Zahlenwerten gewonnen werden und daher eine genaue Reproduktion dessen sind, was der Analog-Digital-Wandler am Anfang der Kette gemessen hat.


Die nächsten Folgen dieser Serie:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VI
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VII
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) VIII 

Die früheren Folgen:
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) I
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) II
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) III
Vinyl vs. CD (Wahn und Wirklichkeit) IV

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