Bruce Springsteen wird allgemein überschätzt - das finde ich schon seit
über 30 Jahren, seit damals sein größter Fan Peter Rüchel mit dem Jammern
anfing, dass der "Boss" nicht in seinem Rockpalast auftreten wollte
("zum Trost spielen wir jetzt nochmal den einzigen Clip, an dem wir die
Rechte bekommen konnten: Rosalita"). Gähn, wo ist das Klo?
Springsteen macht (soweit mir bekannt) allerbräsigste, extrem konventionelle
US-Klischee-Rockmusik mit allem was dazugehört, Saxofonsoli, Telecaster,
Mundharmonika, Männerschweiß etc.
Dazu die verquasten und ellenlangen Texte (warum muss er immer ganze
Romanhandlungen in einen Song packen?) die er grundsätzlich mit
geschlossenem Mund singen muss, dass sie auch ja niemand versteht!
Gerade seine vielgelobten Klassiker waren zumeist hoffnungslos überproduziert - der an sich wirklich gute Song Born To Run
ist das beste Beispiel dafür, wie man einen Rocksong nicht arrangieren
sollte. Alle Instrumente spielen gleichzeitig und gleichlaut, so dass die
Ohren nur so bimmeln.
Wenn das Feuilleton behauptet, er stünde mit Bob Dylan auf einer Stufe, muss ich da zustimmen - den Kollegen mag ich nämlich auch nicht, aus ähnlichen und anderen Gründen!
Was ja nun nicht zwangsläufig heißen muss, dass er nicht trotzdem einmal angenehm überraschen könnte. - Ich habe mir also das neue Springsteen-Album "High Hopes" gestern abend und heute morgen
freiwillig und möglichst unbefangen angehört - allerdings als jemand, der Bruce nie als seinen Boss, Genie oder
Messias, sondern eben eher für einen schwer überschätzten US-Musiker gehalten
hat.
Ich versuche mich mal an einer Einzelkritik:
High Hopes ist trotz seiner Percussionloops am Anfang ein,
soweit ich das mangels Backkatalogkenntnisse beurteilen kann, offenbar recht
typischer Springsteen. Keine Ahnung, worum es im Text geht, aber
"Hopes", "Soul" und "Peace" und der Gospeldamenchor lassen auf
religiösen Kontext schließen. Möglicherweise ist das ironisch gemeint -
"don't you know these days you pray for everything" ist sicherlich eine
für US-Amerikaner nachvollziehbare Textzeile. Leider ist der Song sehr
repetitiv. Das Hauptriff hat man schon dutzendfach woanders gehört und
insgesamt gibt es dann doch zuwenig Abwechslung, was auch daran liegen
könnte, dass der Song nur zwei Akkorde hat. Bläser tröten, Frauen
singen, Gitarren solieren, eine Snaredrum im Dauerstress - nicht mein
Fall, danke.
Harry's Place fängt spannend an, mit einem pulsierenden
Basssynthie. Warum die Titelzeile durch ein Megaphon gesungen wird,
erschließt sich mir nicht. Immerhin sind die Vocals insgesamt gut
aufgenommen, oder er nuschelt absichtlich weniger. Leider wird bei 1:30
zum ersten Mal Krach gemacht in Form von E-Gitarren, die einfach nur
schräge Töne und Lautstärke produzieren. Ab Minute 3 wirds dann ganz
schlimm, zum Glück wird ausgeblendet. Größtes Problem neben dem Krach
auch hier wieder nur zwei Akkorde.
American Skin (41 Shots) hat einen recht lahmen Anfang.
Nach "praying for his life" setzt wieder der Gospelchor ein - das
gehört bei Springsteen offenbar fest zusammen. Die Drums setzen
erstmals bei Minute 2 ein, natürlich erstmal mit Rimshots, man will
sich ja noch steigern. Erst bei 3:20 geht's dann richtig ab - naja,
nicht so richtig, aber jetzt darf der Drummer richtig draufhauen und es
gibt ein erstes Dudelgitarrensolo. Springsteens Gesang erinnert mich
in seinem triefenden Pathos unvermittelt an Tom Smith, den Sänger der
Birminghamer Indie-Band EDITORS (aber wahrscheinlich ist es andersrum).
- Worum es hier geht, kann ich nur vermuten, aber die Message bekommt
man ja hier mit dem Holzhammer: Wahrscheinlich wurde irgendein
Amerikaner, um den es schade gewesen ist, von 41 Kugeln durchsiebt.* Bei spätestens 5:30
wünscht man sich dann das Ende herbei, aber der Saxofonist hatte ja
noch nichts zu tun und der Gitarrist muss auch nochmal. Also weitere
zwei Minuten, uff. Die Akkordfolge hatte man vorher schon tausendmal
gehört und hier muss man eben durch. Wahrscheinlich ein
Springsteen-Klassiker.
*Nachbemerkung 2016: in dem Song geht es um Amadou Diallo, einen jungen Einwanderer nigerianischer Herkunft, der 1999 starb, als 41 Schüsse von Zivilpolizisten auf ihn abgegeben wurden, die ihn versehentlich für einen gesuchten Verbrecher hielten. 19 Kugeln trafen den unbewaffneten Mann, als er gerade seinen Ausweis ziehen wollte. Wikipedia: Amadou Diallo
Just Like Fire Would kommt mit einem gefälligen
Country-Riff und dann werden die üblichen Springsteen-Klischees
verbraten: Motel room, last cigarette, 500 miles, sweat falls on the
ground... gähn! Der Song ist in seiner musikalischen Struktur komplett
vorhersehbar, jeder Akkordwechsel das genaue Gegenteil von Überraschung.
Immerhin gibt es eine lustige Trompete im Mittelteil, aber nach 2:30
wird das Verlangen nach der Skiptaste fast übermächtig.
Der Anfang von Down In The Hole soll wohl eine Mischung
aus Country, Gospel und Industrial sein. Abgesehen vom "Uuuhuuhuu" der
Hintergrunddamen ganz interessant. Wieder Megafon-Gesang, schon wieder
brennt im Text ein Feuer (hatten wir das nicht eben erst?). Dann setzen
die Drums ein - es sind dieselben wie bei seinem alten Hit I'm on fire (den sogar ich kenne). Da setzt bei mir spontan ein Fremdschäm-Reflex ein.
Heaven's Wall muss angesichts des Titels natürlich mit
Gospelchor kommen; ein anderes Stilmittel steht ihm bei diesem
Themenkomplex offenbar nicht zur Verfügung. In der Mitte duellieren sich
zwei Gitarren und weil er das offenbar so toll fand, wiederholt sich
das am Ende nochmal. Quasi die Essenz seiner vierstündigen Livekonzerte auf knapp vier Minuten verdichtet. Nein danke.
Frankie Fell In Love scheint ebenfalls nach der üblichen
Springsteen-Blaupause gestrickt. Den Text verstehe ich nur rudimentär,
aber "Shakespeare" und "Poetry" sind deutlich zu vernehmen. Wenigstens
hat der Song einen interessanten Mittelteil und ist mit 2:48 auch
angemessen kurz.
This Is Your Sword beginnt mit Fiddle, Tin Whistle und
Banjo, die jedoch nach 30 Sekunden vom üblichen Springsteen-Power-Rock
ersetzt werden. Völlig misslungen auch hier wieder die Damenchöre und
auch Springsteen selbst verfällt hier wieder in sein übliches
unverständliches Geknödel.
Hunter of Invisible Game scheint ein Tribute an Bob Dylan
zu sein, ein netter akustischer Walzer, dem man eine Weile durchaus gern
zuhören mag. Vielleicht nicht über 4:42, aber egal. Will auch mal was
loben.
The Ghost Of Tom Joad - hieß so nicht schon mal ein ganzes
Album von ihm? Egal, scheint noch so ein Klischee-Klassiker zu sein,
ich verstehe "campfire under the bridge" und "sleeping in the car",
alles klar. Und dann gibts auch bald schon die lärmenden
High-Pitch-Gitarrensoli, die nach einer kurzen Zäsur nochmal umso
heftiger zurückkommen, dann noch mit einem Solo-Synthie als
Unterstützung und ab Minute 6 gehen dem Gitarristen endgültig alle Gäule
durch. Unerträglicher Krach.
The Wall lässt es dann wieder ruhig angehen. Netter
Kontrapunkt zum vorhergehenden Gewitter, aber für sich allein leider
total langweilig, da ändert auch die nette Trompete am Schluss nichts
daran.
Bei Dream Baby Dream passiert praktisch gar nichts. Ein
Akkordeon spielt drei (!) Akkorde, eine Gitarre macht im Hintergund
Krach und Springsteen singt jede Zeile des dürftigen Texts mindestens
dreimal. Schon nach zwei Minuten hat man den Papp dann auf und mag
einfach nicht nochmal "come on baby keep on dreaming" hören. Leider ist
der Song über 5 min lang. Ein Ärgernis.
Fazit: Diese Platte schwankt beständig zwischen nervig und
langweilig. Die Musik ist über weite Strecken völlig konservativ und
überraschungsarm, die Texte - soweit ohne Lyricsheet beurteilbar - sind voll
von einfältigsten US-Klischees. Wenn das ein gutes Springsteen-Album
sein soll, möchte ich wirklich nicht die Schlechten hören...
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