Sonntag, 12. September 2010

RICHARD THOMPSON: "Britain's finest electric guitarist"


Ich kannte zwar seinen Namen, wusste auch, dass er 1967 Gründungsmitglied von Fairport Convention war (hatte sogar früh einen FC-Doppel-LP-Sampler, den ich jedoch viel zu selten gehört hatte), habe ihn und sein Solo-Werk leider jedoch erst 1996 entdeckt. "Entdeckt" ist eigentlich das falsche Wort - ein guter Freund hatte mich quasi mit der Nase drauf gestoßen. Er verabschiedete sich in die Sommerferien und übergab mir eine dicke Plastiktüte mit seiner fast kompletten RT-Sammlung mit den Worten "Das musst du dir anhören". Keine sechs Wochen später hatte ich alles, was ich auf CD kriegen konnte, in den Plattenläden von Köln aufgekauft.
Meine Sammlung (es ist unmöglich, RT komplett zu haben) umfasst inzwischen 64 offizielle CDs und 3 Live-DVDs (inklusive der 7 "Richard & Linda Thompson"-Alben, weiteren 7 CDs mit anderen Collaborations, 12 Fairport Convention-Alben, bei denen er mitgewirkt hat, sowie der 6CD-Box "The Life and Music of Richard Thompson") und bildet damit die deutlich umfangreichste Abteilung in meinem CD-Regal.

2003 hatte ich das Glück, ihn bei einem seiner seltene Konzerte in Deutschland zu sehen (im "Gloria", einem kleinen ehemaligen Kino in Köln). Es war ein Acoustic-Setting, außer ihm war nur noch Kontrabassist Danny Thompson (Ex-Pentangle, nicht verwandt oder verschwägert) auf der Bühne. Dieses Konzert rangiert noch heute unter meinen persönlichen Top 3. 
Mit schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht er trotz seiner inzwischen 61 Jahre im Schnitt alle drei Jahre ein neues Album; in den Pausen dazwischen gibt es nur über seine Homepage http://www.richardthompson-music.com/ beziehbare Sonderauflagen von Live-Konzerten. Gerade gestern ist sein neues Album, "Dream Attic" angekommen.
Dieses Album, sein 20. Soloalbum (die mit Ex-Ehefrau Linda mitgezählt) ist wieder ein Novum in seiner Karriere - erstmals wurden 13 neue Songs komplett live vor Publikum aufgenommen. Thompson spielt mit seiner eingespielten Electric-Band, darunter mit Multi-Instrumentalist Pete Zorn ein langjähriger Wegbegleiter, 74 Minuten in gewohnt überzeugender Qualität. Die zweite CD spielt die selben Songs in derselben Reihenfolge, jedoch sind es die zuvor aufgenommenen "Demos", meist Thompson solo nur mit akustischer Gitarre, klanglich jedoch hervorragend aufgenommen.
Ein Hauptgrund für RTs ungebrochene Kreativität liegt sicherlich begründet in seiner relativen Erfolglosigkeit. So kommt er nicht auf die Idee, sich zur Ruhe zu setzen oder "Greatest-Hits-Tourneen" zu starten, wie andere Rockstars in seinem Alter. Seinen kommerziellen Höhepunkt hatte er spät mit dem Album "Rumor & Sigh" (1991), das mit Read About Love, I Feel So Good, I Misunderstood, You Dream Too Much, Keep The Distance und vor allem dem genialen Fingerpicking-Akustik-Stück 1952 Vincent Black Lightning auch einige seiner kreativsten Signature-Pieces enthält.
RTs Texte sind hintergründig, humorvoll, oft etwas morbide und sarkastisch, dabei meist im Ich-Erzählstil gehalten. Gern schlüpft er dabei in abseitige Rollen. So ist sein Protagonist in I Feel So Good ein eben entlassener Strafgefangener, der sich so wohl in seiner neuen Freiheit fühlt, dass er glatt "jemandem das Herz brechen" möchte. Der Liebhaber in Read About Love hat alle Infos über die Liebe aus Magazinen wie "Cosmo", "Seventeen" und "Hustler" und einem besonders seriösen Buch eines "Doktors mit deutschem Namen". Nun, da er seine Auserwählte auf dem "Test-Bett" liegen hat, stellt er fest, dass es nicht so klappt, wie erwartet - also muss es an ihr liegen, klar, denn er ist ja bestens über die Liebe informiert.

In seine Musik lässt er immer noch gern traditionelle Folk-Elemente einfließen und klingt dadurch sehr britisch, obwohl er schon seit Jahrzehnten in Kalifornien lebt. Sein Gesang, der zu Fairport-Zeiten noch eher unsicher und schüchtern klang (meist sangen ohnehin andere wie Sandy Denny oder Iain Matthews), hat sich im Laufe der Zeit zu einem markanten Bariton gewandelt, den man immer auf Anhieb erkennt. Viel Lob hat er stets eingeheimst von Seiten der Musikpresse, aber auch von anderen Musikern. Mark Knopflers angeblich so unverwechselbarer Sologitarrenstil ist tatsächlich mehr als nur inspiriert von Thompsons, wobei letzterer deutlich vielseitiger und auch technisch versierter ist.
Obiges Zitat stammt übrigens aus Nick Hornbys Bestseller "High Fidelity" (in der deutschen Ausgabe leider leicht falsch mit "Englands erster elektrischer Gitarrist" übersetzt).

Weitere Empfehlungen:
SHOOT OUT THE LIGHTS (1982)



Das von der Kritik stets hochgepriesene letzte Album mit seiner damaligen Ehefrau Linda - ich war nie ein großer Fan ihrer immer etwas gepressten Stimme, aber hier hält sie sich angenehm zurück und überlässt Richard die Leadvocals der besten Songs. Mit Dave Pegg, Simon Nicol und Dave Mattacks sind gleich drei Mitglieder von Fairport Conventions legendärer "Full House"-Besetzung an Bord, sie werden ergänzt von Multiinstrumentalist Pete Zorn.
Gleich der erste Song ist ein richtiger Kracher - Don't renege on our love lebt vom minimalistischen Shuffle-Rhythmus Mattacks und RTs Sologitarre ist in Top-Form.
Der hochgelobte Titelsong war nie mein Favorit, er kommt zwar extrem druckvoll, aber auch etwas zu lang und zu depressiv, was allerdings wiederum hervorragend zum Text passt. Besser noch gerieten Back Street Slide und vor allem Wall Of Death, der vielleicht beste RT-Song ever. Hier ist sogar Linda in Hochform und singt eine großartige zweite Stimme. Der Text ist vordergründig über einen Kirmesbesuch, dies ist jedoch nur eine clevere Allegorie.


SWEET WARRIOR (2007)



Es gibt kein wirklich schlechtes RT-Album, aber bei diesem hier stimmt wirklich alles, Songwriting, Gesang, Arrangements und Produktion. Anspieltipps: Needle and thread (mit einem ähnlichen Rhythmus wie Back Street Slide), She sang angels to rest (eine fabelhafte, sehr düstere Ballade), Mr. Stupid (ein ironischer Instant-Klassiker mit Hit-Potential), Dad's gonna kill me (aus der Sicht eines US-Soldaten im Irak-Krieg) und schließlich Bad Monkey (klassicher Rock'n'Roll mit Folk-Anleihen und einem großartigen Saxophon).


Wer aber erstmal nur reinschnuppern möchte, dem wäre

ACTION PACKED - THE BEST OF THE CAPITOL YEARS (1988-1999)



zu empfehlen. Es enspricht zwar nicht ganz meiner persönlichen Auswahl aus dieser Ära, aber immerhin sind mit Turning Of The Tide (von "Amnesia", 1988), I Can't Wake Up To Save My Life ("Mirror Blue", 1994), Razor Dance und The Ghost Of You Walks ("You? Me? Us!", 1996), sowie Bathsheba Smiles ("Mock Tudor", 1999) eine ganze Reihe meiner All-Time-Favoriten vertreten, neben vier Songs von "Rumor & Sigh" (von den oben empfohlen fehlen allerdings ausgerechnet das geniale Read About Love, sowie You Dream Too Much).