Freitag, 15. August 2014

Background: Progressive Rock - wasndas?

Heute mal was Einfaches: wir definieren "Progressive Rock"...
Es gibt Webseiten, die das sehr schön auf den Punkt bringen, z.B. cracked.com:
  1. Progressive rock is categorized by a sacking of traditional song structure, complex rhythms, odd time signatures and a sense of inherent superiority over other rock genres
  2. Because of this, it's pretty much never been popular
  3. It is the only rock genre in which the term "flute solo" has any meaning
Leider ist es dann doch nicht ganz so einfach. Zuletzt hatte prog.teamrock.com mal wieder eine (ernstgemeinte) Liste der besten 100 Prog-Alben veröffentlicht, auf der absurdeste Scheiben zu finden waren, die nicht im Mindesten dazugehören - dafür fehlten natürlich wichtige Alben. Nun kann man sagen, OK, Geschmacksache, aber das wäre auch wieder eine unzulässige Vereinfachung. Also räumen wir zuerst mal mit den Missverständnissen auf:

"Progressive" ist kein eigenes Genre!
Das kann man schon an der Wortart erkennen; es ist klar und deutlich kein Substantiv, sondern nur ein Adjektiv. Der vollständige Begriff lautet: "Progressive Rock"; wörtlich übersetzt also "fortschrittliche Rockmusik". Das zugehörige Genre lautet also: "Rock".
Eine Feststellung, ob Musik fortschrittlich ist oder nicht, kann nur in Bezug auf einen Vergleich mit anderer Musik desselben Genres erfolgen. Gemessen und gewertet wird der Innovationsgehalt eines Albums, eines Musikstücks oder eines Künstlers. Jemand, der einmal in seiner Karriere ein progressives Album veröffentlicht, aber sich sonst nur selbst kopiert hat, kann nicht per se ein progressiver Künstler sein. Ohnehin neigen ältere Künstler eher dazu, sich weniger häufig neu zu erfinden - die Kreativität lässt ganz allgemein nach, je näher man dem Rentenalter kommt. Eric Clapton war sicherlich ein Innovator in den 1960er Jahren, als man ihm den Gottstatus verleihen wollte, aber ich habe nicht mitgezählt, seit wieviel Jahrzehnten der Herr schon langweilt. Es kommt also auf Anderes an.

1970 galt auch ein Album wie "Deep Purple In Rock" als "progressive", obwohl es aus heutiger Sicht eher zum "Dadrock" gerechnet wird. Das hat aber wohl eher mit der geringen Innovationsleistung zu tun, die Deep Purple in den 20 Jahren danach zuwege gebracht hat. Im Rückblick wird halt zuwenig darauf geachtet, welchen "Impact" ein Album bei seinem Erscheinen ausgelöst hat. Ich halte diesen Faktor jedoch für essentiell.
Vielfach wird eingewandt, ein kommerziell erfolgreiches Album könne nicht gleichzeitig auch "progressive" sein, was natürlich völliger Unsinn ist. "Sgt. Pepper" - der Archetyp eines progressiven Rockalbums -  war nach Ohrenzeugenberichten 1967 ein absoluter Hammer, der selbst eingefleischte Beatles-Fans fassungslos zu Boden schmetterte. Gleichzeitig war es überaus erfolgreich.
So ist "The Dark Side Of The Moon" sicherlich ein progressives Album - Pink Floyd haben es damit zum ersten Mal meisterlich geschafft, solide Kompositionen mit elektronischen, experimentalen (Ambient-) Sounds und Geräuschen zu verbinden. Das hatten sie zwar auch schon zuvor versucht, jedoch nicht mit dieser songdienlichen Stringenz.

Wichtiger als Verkaufszahlen erscheint doch, dass das Produkt zu einem "Fortschritt" in der Rezeption des Publikums (eingeschlossen weitere zeitgenössische Rockmusiker oder -bands) geführt und damit eine nachhaltige Wirkung ausgelöst hat, die die weitere Historie des Genres "Rock" maßgeblich geprägt hat. Leider hat es nicht allzu viele Alben in der Geschichte der Rockmusik gegeben, die gleichzeitig erfolgreich und progressiv waren, dennoch schließen sich diese Parameter nicht gegenseitig aus.

Kriterium ist für mich eindeutig die Originalität, die in einer Aufnahme steckt - das Variieren einer bereits bekannten oder beliebten kreativen Idee kann sicherlich ebenfalls kreativ sein, jedoch geht nichts über die Originalität.
Was heutzutage als "Prog" gilt, ist jedoch meist besser in der Schublade "Retro" aufgehoben. Gesampelte Mellotronsounds können sicherlich trotzdem nett klingen. "Retroprog" (diese absurde Wortschöpfung gibt es tatsächlich) ist ein kläglicher Versuch, ein Label zu finden für all die Epigonen, die den Progressive Rock von damals mit alten Stilmitteln und Sounds wie eben Mellotron nachahmen - also eigentlich nur "retro" sind.
The Watch zum Beispiel. Oder Steven Wilson - der ist als ausgewiesener Progfan dafür gut, immer mal eine alte Idee als Hommage einzustreuen (siehe Watchmaker von seinem Album "The Raven that Refused to Sing" - eine Collage aus Genesis' Cinema Show meets Pink Floyds Dogs). Aber "fortschrittlich" oder "originell" ist das im eigentlichen Sinn nicht - und ist dann auch sicher nicht so gemeint.

Viele Fans (und Musiker) verwechseln Virtuosität mit Kreativität. 
Das konnte man zuletzt sehr schön bei den Lobeshymnen sehen, die aus dem Proglager auf Steven Wilsons "Raven" angestimmt wurden. Es handelt sich dabei um eine Grundfehlannahme, die seit den frühen 1970er Jahren immer wieder getroffen wird und vermutlich dem Einfluss der Improvisation (also Blues und Jazz) auf die Rockmusik geschuldet ist. Insbesondere wurde der Jazz, nachdem er in den 1950ern langsam aus der Mode kam, allmählich ein Lieblingskind vorzugsweise elitärer Kreise, seine Protagonisten als musikalische Genies gefeiert - heute ist Jazz ungefähr so innovativ wie Barockmusik, was man auch an seinen abendgarderobierten "Fans" erkennt, die längst zum Hochkulturestablishment gehören.
Rockfans, die sich anfangs eher am unteren Ende des sozialen Spektrums sahen, begrüßten diese Einflüsse daher von Anfang an, weil sie ihre Lieblingsmusik dadurch aufgewertet sahen. Dabei wird übersehen, dass ein Gitarrensolo an sich ist jedoch nur selten progressiv ist, auch nicht, wenn es 20 Minuten dauert oder ausschließlich aus 64tel Noten besteht.

Will man das Adjektiv jedoch konsequent nur an solche Rockmusik vergeben, die es auch verdient hat, kommt man nicht umhin, seinen persönlichen Geschmack in die Ecke zu stellen und stattdessen einen Blick in die Musikhistorie zu werfen, denn nur so lässt sich beurteilen, wann eine Idee wirklich neu war, oder ob wieder mal nur Epigonen am Werk waren.
Beispiel 1: ich halte Pink Floyds "The Division Bell" für ein tolles Album, das ich sehr gern höre, aber es ist nun mal nicht "progressive" (wäre es 20 Jahre früher erschienen sicher gewesen).
Beispiel 2: King Crimsons "In the Court of the Crimson King" ist sicherlich unbestritten ein bahnbrechendes Album des Progressive Rock, allein ich mag es nicht wirklich (ich besitze es trotzdem).

Montag, 11. August 2014

Background: Elvis

Nein, dieser hier ist nicht gemeint:



Aber mal ernsthaft: von Thommie Bayer gibt es einen Song, in dem er Rock'n'Roll-Todesopfer aufzählt und beklagt. Da heißt es am Schluss der langen Liste:

"...Jim Morrison, Janis Joplin, Sandy Denny und Keith Moon - bei Elvis war's egal, der hat nichts damit zu tun"

Dem kann ich mich eigentlich nur anschließen. Elvis Presley war in erster Linie die Gelddruckmaschine seines Managers, "Colonel" Tom Parker. Denn Elvis war ein Weißer, der wie ein Schwarzer singen konnte - und damit den bis dahin "schwarzen" Rock'n'Roll auch in Weißen Kreisen etablieren konnte. So ließen sich Millionen scheffeln durch maximale Vermarktung - in der Musikindustrie seinerzeit ohne Beispiel.

Seine großen Hits haben andere Künstler wie Little Richard und Chuck Berry geschrieben, die wesentlich talentierter als Elvis, aber eben leider zu stark pigmentiert für eine große Hollywood-Karriere waren. Dass er ein passabler Gitarrist war, gut aussah für damalige Verhältnisse (Männer mussten in den 1950ern wie Schmierlappen rumlaufen) und sowohl singen (naja, eher knödeln) als auch sich bewegen konnte - geschenkt. Nichts konnte er wirklich gut, schon gar nicht schauspielern. Seine Hollywood-Filme und seine Schlagerschnulzen sind aus heutiger Sicht überwiegend peinliche Geschmacks-Entgleisungen.

Nichtsdestotrotz sind viele seiner Aufnahmen aus seinem ersten RCA-Jahr 1956 (das Jahr seines Durchbruchs) ziemlich gut. Leider gab es danach keinerlei positive musikalische Weiterentwicklung, was auch dem Militärdienst und der Hollywood-Karriere geschuldet war, die ab 1957 sein Leben bestimmten. Spätestens die "British Invasion" mit der Speerspitze Beatles hatten ihn unwiderruflich abgehängt. Zudem trat immer mehr sein Faible für Country-Musik in den Vordergrund. Seine Grammys verdiente er sich gar mit Gospel-Alben. Sein Ende als schmieriger, übergewichtiger Las-Vegas-Entertainer war vorhersehbar - aber, wie schon oben festgestellt, aus musikhistorischer Sicht tatsächlich egal.