Dienstag, 14. Januar 2014

BRUCE SPRINGSTEEN - High Hopes (2014)

Bruce Springsteen wird allgemein überschätzt -  das finde ich schon seit über 30 Jahren, seit damals sein größter Fan Peter Rüchel mit dem Jammern anfing, dass der "Boss" nicht in seinem Rockpalast auftreten wollte ("zum Trost spielen wir jetzt nochmal den einzigen Clip, an dem wir die Rechte bekommen konnten: Rosalita"). Gähn, wo ist das Klo?

Springsteen macht (soweit mir bekannt) allerbräsigste, extrem konventionelle US-Klischee-Rockmusik mit allem was dazugehört, Saxofonsoli, Telecaster, Mundharmonika, Männerschweiß etc.
Dazu die verquasten und ellenlangen Texte (warum muss er immer ganze Romanhandlungen in einen Song packen?) die er grundsätzlich mit geschlossenem Mund singen muss, dass sie auch ja niemand versteht!

Gerade seine vielgelobten Klassiker waren zumeist hoffnungslos überproduziert - der an sich wirklich gute Song Born To Run ist das beste Beispiel dafür, wie man einen Rocksong nicht arrangieren sollte. Alle Instrumente spielen gleichzeitig und gleichlaut, so dass die Ohren nur so bimmeln.

Wenn das Feuilleton behauptet, er stünde mit Bob Dylan auf einer Stufe, muss ich da zustimmen - den Kollegen mag ich nämlich auch nicht, aus ähnlichen und anderen Gründen!

Was ja nun nicht zwangsläufig heißen muss, dass er nicht trotzdem einmal angenehm überraschen könnte. - Ich habe mir also das neue Springsteen-Album "High Hopes" gestern abend und heute morgen freiwillig und möglichst unbefangen angehört - allerdings als jemand, der Bruce nie als seinen Boss, Genie oder Messias, sondern eben eher für einen schwer überschätzten US-Musiker gehalten hat.

Ich versuche mich mal an einer Einzelkritik:

High Hopes ist trotz seiner Percussionloops am Anfang ein, soweit ich das mangels Backkatalogkenntnisse beurteilen kann, offenbar recht typischer Springsteen. Keine Ahnung, worum es im Text geht, aber "Hopes", "Soul" und "Peace" und der Gospeldamenchor lassen auf religiösen Kontext schließen. Möglicherweise ist das ironisch gemeint - "don't you know these days you pray for everything" ist sicherlich eine für US-Amerikaner nachvollziehbare Textzeile. Leider ist der Song sehr repetitiv. Das Hauptriff hat man schon dutzendfach woanders gehört und insgesamt gibt es dann doch zuwenig Abwechslung, was auch daran liegen könnte, dass der Song nur zwei Akkorde hat. Bläser tröten, Frauen singen, Gitarren solieren, eine Snaredrum im Dauerstress - nicht mein Fall, danke.

Harry's Place fängt spannend an, mit einem pulsierenden Basssynthie. Warum die Titelzeile durch ein Megaphon gesungen wird, erschließt sich mir nicht. Immerhin sind die Vocals insgesamt gut aufgenommen, oder er nuschelt absichtlich weniger. Leider wird bei 1:30 zum ersten Mal Krach gemacht in Form von E-Gitarren, die einfach nur schräge Töne und Lautstärke produzieren. Ab Minute 3 wirds dann ganz schlimm, zum Glück wird ausgeblendet. Größtes Problem neben dem Krach auch hier wieder nur zwei Akkorde.

American Skin (41 Shots) hat einen recht lahmen Anfang. Nach "praying for his life" setzt wieder der Gospelchor ein - das gehört bei Springsteen offenbar fest zusammen. Die Drums setzen erstmals bei Minute 2 ein, natürlich erstmal mit Rimshots, man will sich ja noch steigern. Erst bei 3:20 geht's dann richtig ab - naja, nicht so richtig, aber jetzt darf der Drummer richtig draufhauen und es gibt ein erstes Dudelgitarrensolo. Springsteens Gesang erinnert mich in seinem triefenden Pathos unvermittelt an Tom Smith, den Sänger der Birminghamer Indie-Band EDITORS (aber wahrscheinlich ist es andersrum). - Worum es hier geht, kann ich nur vermuten, aber die Message bekommt man ja hier mit dem Holzhammer: Wahrscheinlich wurde irgendein Amerikaner, um den es schade gewesen ist, von 41 Kugeln durchsiebt.* Bei spätestens 5:30 wünscht man sich dann das Ende herbei, aber der Saxofonist hatte ja noch nichts zu tun und der Gitarrist muss auch nochmal. Also weitere zwei Minuten, uff. Die Akkordfolge hatte man vorher schon tausendmal gehört und hier muss man eben durch. Wahrscheinlich ein Springsteen-Klassiker. 
*Nachbemerkung 2016: in dem Song geht es um Amadou Diallo, einen jungen Einwanderer nigerianischer Herkunft, der 1999 starb, als 41 Schüsse von Zivilpolizisten auf ihn abgegeben wurden, die ihn versehentlich für einen gesuchten Verbrecher hielten. 19 Kugeln trafen den unbewaffneten Mann, als er gerade seinen Ausweis ziehen wollte. Wikipedia: Amadou Diallo

Just Like Fire Would kommt mit einem gefälligen Country-Riff und dann werden die üblichen Springsteen-Klischees verbraten: Motel room, last cigarette, 500 miles, sweat falls on the ground... gähn! Der Song ist in seiner musikalischen Struktur komplett vorhersehbar, jeder Akkordwechsel das genaue Gegenteil von Überraschung. Immerhin gibt es eine lustige Trompete im Mittelteil, aber nach 2:30 wird das Verlangen nach der Skiptaste fast übermächtig.

Der Anfang von Down In The Hole soll wohl eine Mischung aus Country, Gospel und Industrial sein. Abgesehen vom "Uuuhuuhuu" der Hintergrunddamen ganz interessant. Wieder Megafon-Gesang, schon wieder brennt im Text ein Feuer (hatten wir das nicht eben erst?). Dann setzen die Drums ein - es sind dieselben wie bei seinem alten Hit I'm on fire (den sogar ich kenne). Da setzt bei mir spontan ein Fremdschäm-Reflex ein.

Heaven's Wall muss angesichts des Titels natürlich mit Gospelchor kommen; ein anderes Stilmittel steht ihm bei diesem Themenkomplex offenbar nicht zur Verfügung. In der Mitte duellieren sich zwei Gitarren und weil er das offenbar so toll fand, wiederholt sich das am Ende nochmal. Quasi die Essenz seiner vierstündigen Livekonzerte auf knapp vier Minuten verdichtet. Nein danke.

Frankie Fell In Love scheint ebenfalls nach der üblichen Springsteen-Blaupause gestrickt. Den Text verstehe ich nur rudimentär, aber "Shakespeare" und "Poetry" sind deutlich zu vernehmen. Wenigstens hat der Song einen interessanten Mittelteil und ist mit 2:48 auch angemessen kurz.

This Is Your Sword beginnt mit Fiddle, Tin Whistle und Banjo, die jedoch nach 30 Sekunden vom üblichen Springsteen-Power-Rock ersetzt werden. Völlig misslungen auch hier wieder die Damenchöre und auch Springsteen selbst verfällt hier wieder in sein übliches unverständliches Geknödel.

Hunter of Invisible Game scheint ein Tribute an Bob Dylan zu sein, ein netter akustischer Walzer, dem man eine Weile durchaus gern zuhören mag. Vielleicht nicht über 4:42, aber egal. Will auch mal was loben.

The Ghost Of Tom Joad - hieß so nicht schon mal ein ganzes Album von ihm? Egal, scheint noch so ein Klischee-Klassiker zu sein, ich verstehe "campfire under the bridge" und "sleeping in the car", alles klar. Und dann gibts auch bald schon die lärmenden High-Pitch-Gitarrensoli, die nach einer kurzen Zäsur nochmal umso heftiger zurückkommen, dann noch mit einem Solo-Synthie als Unterstützung und ab Minute 6 gehen dem Gitarristen endgültig alle Gäule durch. Unerträglicher Krach.

The Wall lässt es dann wieder ruhig angehen. Netter Kontrapunkt zum vorhergehenden Gewitter, aber für sich allein leider total langweilig, da ändert auch die nette Trompete am Schluss nichts daran.

Bei Dream Baby Dream passiert praktisch gar nichts. Ein Akkordeon spielt drei (!) Akkorde, eine Gitarre macht im Hintergund Krach und Springsteen singt jede Zeile des dürftigen Texts mindestens dreimal. Schon nach zwei Minuten hat man den Papp dann auf und mag einfach nicht nochmal "come on baby keep on dreaming" hören. Leider ist der Song über 5 min lang. Ein Ärgernis.


Fazit: Diese Platte schwankt beständig zwischen nervig und langweilig. Die Musik ist über weite Strecken völlig konservativ und überraschungsarm, die Texte - soweit ohne Lyricsheet beurteilbar - sind voll von einfältigsten US-Klischees. Wenn das ein gutes Springsteen-Album sein soll, möchte ich wirklich nicht die Schlechten hören...