Sonntag, 31. Januar 2016

PHIL COLLINS - Face Value / Both Sides (Remasters 2016)

Phil Collins hat am letzten Freitag endlich die ersten beiden CDs seiner lang erwarteten Remaster-Kampagne "Take A Look At Me Now" herausgebracht (das Release-Datum war zuvor krankheitsbedingt verschoben worden) - "Face Value", sein fulminantes Hit-Debut von 1981, und sein persönliches Lieblingsalbum "Both Sides" von 1993, das er im Alleingang eingespielt hatte und vielleicht auch deshalb das Album war, das seinen allmählichen Niedergang einleitete, sind die beiden ersten Alben in dieser Serie, über die in Fankreisen schon viel diskutiert wurde, bislang aber hauptsächlich wegen der Idee, die Köpfe des Contemporary-Phil gegen die des Phils von heute auszutauschen. Damit hat man sich viel Mühe gegeben - Ausleuchtung, Gradation, Farben und Kontraste sehen fast exakt so aus wie damals, nur an den Falten erkennt man den Unterschied. Als Idee für die Promotion dieser neuen Serie ist das sicherlich eine großartige Idee - für Fans, die bei einer Wiederveröffentlichung eine originalgetreue Artwork-Gestaltung erwarten, dagegen eher eine Enttäuschung. Ähnlich erging es der Tracklist der Bonus-CDs - als durchsickerte, dass diese nicht, wie sonst bei diesen Gelegenheiten üblich, die vollständigen B-Seiten nebst Studio-Outtakes, Demos oder Alternativversionen, sondern hauptsächlich Livetracks versammeln, die nicht einmal aus der Zeit des Originalalbum stammen sollten, stand für viele die nächste Enttäuschung fest.

Bislang gab es ja nur von "Face Value" einige Remasters auf einigen eher obskuren Kleinlabels mit entsprechend geringer Auflage, bei denen nie wirklich klar war, ob dafür jeweils das analoge Originalmaster des Albums verwendet wurde. Daher war ich einigermaßen gespannt darauf, was hier nun tatsächlich gemacht wurde beim neuen Mastering.
Habe mir exemplarisch je zwei Titel von "Face Value" und "Both Sides" vorgenommen, um herauszufinden, was denn da gemacht wurde beim neuen Mastering.

Zum Vergleich habe ich die CD-Erstausgaben in der deutschen Pressung herangezogen:
FV: Atlantic 16029-2 Europe: 299143 (Cover ohne Barcode)
BS: WEA 4509-93757-2

Das Remaster von "Face Value" hat einen im Schnitt ca. 4,5 dB lauteren Durchschnittspegel.
Bei "Both Sides" sind die gemessenen Durchschnittspegel bis auf minimale Abweichungen identisch.

Um es vorweg zu nehmen: die Neuausgabe von "Both Sides" kann man eigentlich nicht "Remaster" nennen!
Die Gründe dafür erläutere ich im Folgenden.


Die Frequenzverläufe sind in den Grafiken zu sehen. Kräftige Linien: neue Version, dünnere Linien: alte Version, gelbe Linien: Spitzenwerte, grüne Linien: Durchschnittswerte. Die Kurven sind der Anschaulichkeit halber bei den FV-Stücken übereinandergeschoben, die Gesamtpegel wurden also in der Darstellung angeglichen. Alle Grafiken lassen sich durch Anklicken vergrößern.

In The Air Tonight:
Durchschnittspegel (dbFS): -20,66 (neu), -24,17 (alt)
Der Frequenzgang verzeichnet eine Anhebung der Bässe ab etwa 130 Hz abwärts um maximal ca. 2,3 dB (bei 60 Hz), ebenso sind die oberen Mitten und Höhen ab ca. 1 kHz angehoben, bei 10 kHz um etwa 3 dB. Tiefbässe unterhalb von ca. 25 Hz wurden stark abgesenkt.

Diese moderaten Veränderungen hört man deutlich, auch bei angeglichener Gesamtlautstärke. Insbesondere die nun kräftigeren Höhen bringen einen subjektiv deutlich vernehmbaren Zugewinn an "Frische" und "Transparenz".



Durch die Anhebung der Gesamtlautstärke mussten allerdings die Spitzen im lauten Teil mit einem Hard-Limiter abgesenkt werden. Dies beeinträchtigt leicht die Dynamik. In der Wellenformdarstellung stößt die laute Passage des Remasters (links) deutlich an die Obergrenze der Maximallautstärke und erscheint daher oben und unten beschnitten. Das Original (rechts) ist zwar erkennbar leiser, hat dafür jedoch die volle Dynamik ohne Spitzenwertbegrenzung.

The Roof Is Leaking:
Durchschnittspegel (dBFS): -21,67 (neu), -26,93 (alt)
Die Abweichungen der Frequenzverläufe betragen hier maximal 1 dB, das liegt an der Grenze zur Unhörbarkeit. Nach Angleichung der Gesamtlautstärke sind auch im direkten A/B-Vergleich (Umschalten mit einem Mausklick) nur winzige Unterschiede vernehmbar.



Dabei gefällt mir dabei die alte Version ein klein wenig besser, weil der Soundeffekt auf der Stimme in der neuen Version einen Tick schärfer und damit vielleicht etwas unangenehmer klingt. Auch scheinen die S-Laute etwas stärker zu zischen, was nach einer leichten Verzerrung klingt. Das alles jedoch wie gesagt in minimalen, kaum hörbaren Größenordnungen.

Both Sides Of The Story:
Durchschnittspegel (dbFS): -14,48 (neu), -14,78 (alt)
Die Frequenzverläufe zeigen es, sie sind praktisch identisch und in der Hörprobe im direkten A/B-Vergleich lässt sich ebenfalls kein Unterschied wahrnehmen.






Die Wellenformdarstellung sieht ebenfalls gleich aus, lediglich der Spitzenpegel (links, neue Version) ist minimal geringer.

Every Day:
Durchschnittspegel (dBFS): -15,72 (neu), -15,67 (alt)
Ebenso. Nahezu identische Kurvenverläufe und gar kein Unterschied bei den Höreindrücken. Ich denke, die Grafik kann ich mir hier sparen.


Fazit (mit Vorbehalt, da nur jeweils zwei Titel betrachtet wurden):

Bei "Face Value" hat deutlich sicht- und hörbar eine Soundbearbeitung stattgefunden, die durchaus als leichte Klangverbesserung wahrgenommen werden kann, jedoch offenbar nicht unbedingt bei allen Titeln. Unnötig erscheint jedoch die Anhebung der Gesamtlautstärke um satte 4,5 dB, zumal dabei eine Spitzenwertbegrenzung erfolgen musste. Ein Durchschnittspegel in der Größenordnung von -20 dBFS ist jedoch immer noch ein guter Wert für die Gesamtdynamik, auch wenn aktuelle Remasters anderer Interpreten die Lautheit inzwischen wieder deutlich reduziert haben.
Abgesehen vom Hard-Limiter hat es jedoch keinerlei zusätzliche Dynamikbehandlung gegeben. Das ergibt sich aus den stets gleichen Abständen zwischen den Kurven für Spitzenpegel (gelb) und Durchschnittspegel (grün) beim Original wie auch beim Remaster. EQing ist mit großer Wahrscheinlichkeit also die einzige Klangbearbeitung hier.

"Both Sides"
hätte eine Absenkung des Gesamtpegels auf -20 dB jedenfalls gut getan. Das Album war 1993 zwar noch vor den ganz üblen Auswüchsen des "Loudness Wars" erschienen, allerdings war dieses Album schon in der Originalausgabe Spitzenwert-limitiert.
Von einem Remaster hätte ich erwartet, dass man das ursprüngliche Master mit mehr Dynamik neu digitalisiert hätte.
Wie auch immer - die einzig erkennbare durchgeführte Bearbeitung bei "Both Sides" ist der Hard-Limiter, der in der Neuausgabe etwas stärker zuschlagen darf, ja muss, denn das Original weist einen eigentlich unzulässigen Spitzenpegel von 0,0 dBFS auf. Hier sind es vertretbare -0,22 dB, das ist heutzutage ein üblicher Wert für einen Hard-Limiter. Durch die unterschiedliche Spitzenwertbegrenzung erklären sich auch die minimalen Abweichungen bei den Frequenzkurven.

Hier wurde jedoch nachweisbar gar nichts neu digitalisiert - ein Zoom hinein in die Wellenformdarstellung bis auf Sampleebene (Grafik links zeigt die "Nahaufnahme" eines Peaks: jeder Punkt steht für den Abtastwert eines Samples, die beiden oberen Kurven sind linker und rechter Kanal des "Remasters", die beiden unteren die der Erstausgabe) zeigt, dass beide Versionen auf die 44100stel Sekunde genau synchron laufen - mag natürlich auch daran liegen, dass das Tonstudio-Mix-Master dieses Albums wahrscheinlich bereits digital war. Hier wurde also bestenfalls ein technisches Remastering ohne jegliche Soundbearbeitung durchgeführt.


Zum Sound der Bonus-CDs:
Die Livetracks auf der "Extra Sides"-CD klingen relativ bescheiden; die Qualität ist allerdings unterschiedlich schlecht. Both Sides Of The Story klingt wie eine flache Audience-Aufnahme. Dass es Stereo ist, hört man nur an wenigen Stellen, die Vocals sind dumpf, Bässe kaum wahrnehmbar. Am Anfang ist relativ viel Hall zu hören, das wird nach der ersten Minute etwas besser. Can't Turn Back The Years klingt etwas besser, fast wie eine ordentliche Radioaufnahme. Auch hier relativ enge Stereobasis, die Backing Vocals stechen etwas heraus, sie sind extrem nach links und rechts gepannt. Kaum Bässe auch hier. Survivors klingt wieder etwas schlechter, jedoch nicht so grottig wie Both Sides... Bei Everyday hört man fiese Datenkompressionsartefakte auf den Becken - moment mal, hat Collins nicht erwähnt, er hätte die Live-Track-Auswahl nach dem getroffen, was er auf YouTube gefunden hat? - Eine kurze Suche findet dies: Every Day klingt exakt so wie dieser YouTube-Audiotrack, möglicherweise aufgenommen in Manchester 1994:




Leider hat man es auch nicht für nötig gehalten, die Geschwindigkeit anzupassen; die Aufnahme läuft ein bisschen zu schnell; der Ton ist dadurch etwas zu hoch gepitcht - nicht viel, höchstens einen Viertelton, aber wahrnehmbar. Eine Klangbearbeitung ist nicht erfolgt, man hat einfach die AAC-Tonspur extrahiert und unverändert auf die CD gepackt.

Finde ich etwas unbegreiflich, denn von diesem Konzert gibt es mehrere besser klingende Bootlegs ohne Kompressionsartefakte! Sonst wäre sie klanglich hier an der Spitze, es gibt sogar minimale Ansätze von Bässen. Das schafft dann We Wait And We Wonder, das klingt sogar wie eine gute Radioaufnahme. Die einzige Live-Aufnahme mit wirklich akzeptabler Qualität ist jedoch die Unplugged-Version von Both Sides Of The Story.

Auch bei der Bonus CD von "Face Value" ist die Tonqualität der Live-Stücke schwankend, wenngleich die Mehrheit der Stücke hier vergleichsweise ordentlich klingt. Ausreißer nach unten ist Behind The Lines, das tatsächlich nur mono ist und wie Fernsehton aus den 1970ern klingt. Am besten klingen Hand In Hand und I Missed Again. Der Rest ist halbwegs akzeptabel.
Lustigerweise warnt Phil im Booklet vor der Tonqualität vom Demo von The Roof Is Leaking, sie käme von einer Cassette - die Aufnahme klingt aber besser als die Demos von Please Don't Ask und Misunderstanding, wobei man auch hier leider feststellen muss, dass das Please Don't Ask-Demo auf der alten Radio-Show-LP von Capital Radio London ebenfalls besser klingt als hier. This Must Be Love rauscht etwas, hat aber hier klanglich zusammen mit der Instrumentalversion von Against All Odds die Nase vorn.

Das Artwork finde ich insgesamt recht dürftig. Ich bin nicht sicher, ob die mir vorliegenden Scans vollständig sind, jedoch scheint das "Booklet" aus zwei doppelt gefalteten Postern zu bestehen, das eine mit den Songtexten und den Original-Liner Notes, das andere mit ein paar alternativen Fotos des Album-Artworks (auch hier keine Spur von den Originalfotos).
Vier Textspalten (bei einem echten Booklet würde man "zwei Seiten" sagen) sind einer neuen, durchaus launigen Ansprache an Phils Kundschaft gerichtet - "Hello, by now you will probably have purchased these re-masters and it's too late to go back" - in der kaum etwas zu den Bonustracks steht, jedenfalls nicht, woher die Liveaufnahmen stammen.

Fazit zu den Bonus-CDs:
Schlampige Zusammenstellungen von höchst schwankender Qualität, bei "Both Sides" etwas extremer noch als bei "Face Value". Da wäre deutlich mehr drin gewesen, hätte man sich etwas mehr Mühe gegeben statt einfach nur die Tonspuren von YouTube-Clips zu verwenden.


Kaufempfehlung:
+ "Face Value" - wer das Album noch nicht hat, kann hier zuschlagen, der Klang scheint hier behutsam verbessert zu sein. Die Bonus-CD hat einige interessante Demos - z.B. eine frühe Aufnahme von The Roof Is Leaking mit Eric Clapton an der Slide-Gitarre. Bei den Live-Stücken ist die Qualität nicht optimal, aber noch akzeptabel.
- "Both Sides" - das Album klingt exakt so wie die Originalausgabe von 1993 - eine Klangbearbeitung hat hier nicht stattgefunden. Die Bonus-CD ist wegen der schlechten Tonqualtät ein echtes Ärgernis. Interessante Demos fehlen. Keine Kaufempfehlung - wer das Album noch nicht hat und meint, es jetzt unbedingt besitzen zu müssen, sollte mal bei Ebay schauen. Da bekommt man mit der Originalausgabe auch ein vernünftiges Booklet.

Dienstag, 26. Januar 2016

ELIOT SUMNER - Information (2016)

Foto: Amazon/Island/Universal
Ich fand ja schon ihr erstes Album unter dem merkwürdigen Namen "I Blame Coco" 2010 klasse und hatte das Vergnügen, sie anschließend in Warstein bei "WDR2 für eine Stadt" zu sehen - hab mich daher mit einiger Erwartung auf das neue Album gestürzt, das ich jetzt seit einer Woche in Dauerrotation höre.

Mehr als fünf Jahre liegen nun dazwischen - vermutlich ist man als Tochter eines berühmten Rockstar-Millionärs nicht unbedingt darauf angewiesen, seine Alben im Jahrestakt rauszuhauen - und es hat sich viel geändert. Sie hat vielleicht ein wenig an jugendlicher Frische und Unbekümmertheit eingebüßt, aber die neue Nachdenklichkeit hier steht ihr ebensogut wie der neue Sound, der weniger Pop ist, sondern mehr in Richtung New Wave/Glam Rock/Elektronik/Krautrock geht, in jedem Fall enorm kraft- und druckvoll rüberkommt. Gleich der Opener Dead Arms & Dead Legs verrät, dass sie wohl ein Fan von David Bowie's "Lodger"-Album ist, verzerrte Synthies und Gitarren, dazu ein recht monotoner Grundbeat steigern sich am Ende zu einem infernalischen Krach. Das ist so einfach wie klasse - und geht mit dem folgenden Information gleich so weiter.

Die nachdenklichen, klugen Texte kreisen um ein gemeinsames Thema. Sie steht immer gern neben sich und betrachtet aufmerksam, was mit ihr passiert mit einer Mischung aus Zweifel, Unsicherheit und Hoffnung. Es geht um die Zukunft, um Beziehungen (natürlich) und vor allem um die Kontrolle über sich selbst und ihr Leben. Das klingt zum Teil sehr persönlich und manchmal schmerzhaft, aber dadurch auch sehr authentisch:
I need to know you're thinking of me
I need to know you're there
I need the information now
I got to know you care
I occupy these feet with these dead arms and these dead legs
The brambles catch and tighten and they pull me into bed
This is no retaliation, this is the universe
I imagine myself walking here 5 million years before
I’m so intrigued by this one, it’s sharp around the sides
There’s a danger to your loving, and my loves been compromised
It seems I have met my maker
I didn't have a choice
So what is this thing that takes control of me
Let my love lie on your life and let love lie on me

Wenn man dem Album einen Vorwurf machen kann, dann den, dass viele Songs recht ähnlich klingen, dass der Power-Rock-Rhythmus mit seinen durchgehenden 4/4 Kickdrum-Beats aus der Dose vielleicht ein bisschen zu wenig variiert wird. Nur ein bisschen herausragend sind daher der siebeneinhalbminütige Titelsong mit seinem hymnischen Refrain, das noch am ehesten an "Coco"-Zeiten erinnernde What Good Could Ever Come Of This, die fast-Ballade Say Anything you Want oder das minimalistische Species.

Nur ein bisschen - weil einfach das ganze Album herausragend ist!