Dienstag, 17. Dezember 2019

Technobabble: Plattenspieler-Update 11/2019

...es klingt nicht schön, will aber trotzdem abgespielt werden! 😏

Meine Haltung zum Thema Vinyl ist ja nicht zuletzt durch diesen Blog bekannt - weniger bekannt ist vielleicht, dass ich seit einigen Jahren nebenberuflich ein Mastering-Studio betreibe. Oft bekomme ich als Ausgangsmaterial "nur" eine mehr oder weniger verschlissene Schallplatte, die ich dann so weit aufarbeiten muss, dass sie als Master für eine CD und eine neue Vinylauflage taugt. Das ist vor allem ein sehr zeitraubender Vorgang.

Als Plattenspieler nutze ich zu diesem Zweck seit vielen Jahren einen DUAL CS741Q - dieses Modell kam 1982 auf den Markt - erstmals im zeitgenössischen Japan-Design, wobei er vollständig Made in Germany war. Das bis dahin jahrzehntelang kaum veränderte, eher rustikal anmutende "Schwarzwälder Design" der legendären Firma wurde aufgegeben - keine Nussbaum-furnierten Holzchassis mehr, dafür war jetzt Silberlook und Plastik angesagt. Kein billiges Plastik natürlich, sondern durchaus ein sehr stabiler Qualitätswerkstoff, aber modern sollte es halt aussehen - was man in den 1980ern halt so trug. Ich finde ihn heute noch ziemlich schick und elegant - er sieht irgendwie "technisch" aus, ohne ausschließlich funktional anzumuten wie die Studio-Trümmer von EMT - das gefällt mir. Eine seltenere Variante gab es übrigens auch in dunkelbraun - naja...

Dual CS741Q mit Lehmannaudio Black Cube SE II
Der CS741Q war bei seiner Markteinführung das Topmodell - Kenner behaupten, dass Dual nie einen besseren Dreher gebaut habe. Der UVP von 750 DM (entspricht einer heutigen Kaufkraft von ca. 680 €) war hoch, aber angemessen. Genützt hat es wenig - die Zeit der Plattenspieler war vorbei, die CD war das neue, angesagte Medium, Vinyl wollte niemand mehr. Dual ging kurz darauf pleite und wurde von einer französischen Firma übernommen, die Fertigung in Deutschland auf ein Minimum zurückgefahren. Später wurde die Wortmarke nach Fernost verkauft und prangte fortan an allen möglichen Elektogeräten, wie es auch beim ehemaligen Konkurrenten Braun der Fall war (gab es eigentlich auch elektrische Zahnbürsten, Föhns und Rasierer von Dual?). Heute werden wieder Dual-Plattenspieler von akzeptabler Qualität im Schwarzwald gefertigt - jedoch mit deutlich weniger ambitionierter Technik. Einen quarzgeregelten Direct-Drive mit "Ultra-Low-Mass"-Tonarm und einem stimmbaren Anti-Resonator wie den CS714Q sucht man im Portfolio vergeblich.

Vor ein paar Jahren - der Spieler stand schon da, wo er auch heute wieder steht (siehe Foto oben) - saß ich am Studio-Schreibtisch, als es plötzlich hinter mir anfing, fies nach "Elektronik" zu riechen. Aus der vorderen linken Ecke des Plattenspielergehäuses quoll eine stinkende Qualmwolke! Klar: hier war irgendwas abgeraucht. Ich bekam etwas Panik, zog den Netzstecker und öffnete vorsichtig das Gerät. Die Ursache war auf einen Blick zu erkennen: Am ohnehin schon länger defekten Ein/Aus-Schalter (dessen Funktion ich vor einiger Zeit überbrückt hatte, um das Gerät überhaupt verwenden zu können, ohne den Knopf die ganze Zeit gedrückt zu halten) befand sich ein durchgeschmorter Funkentstör-Kondensator. Nun, so ein 1,50 €-Bauteil war mir bereits bei meiner Senseo-Kaffeemaschine begegnet - da war es verantwortlich für die geplante Obsoleszenz, die gleich nach Ablauf der Garantiezeit dafür sorgen sollte, dass der Besitzer sich eine neue Senseo kauft. Diesen Vorwurf konnte ich meinem Plattenspieler nicht machen - das Teil hatte immerhin 30 Jahre tapfer durchgehalten. Anders als bei meiner Senseo ließ es sich auch einfach ersetzen - und meine Panik war unbegründet: Diese Sorte Kondensator brennt quasi kontrolliert ab und löscht sich dann selbst - ohne dass das Studio dabei in Flammen aufgeht. Es stinkt halt nur.

Das war jedoch nicht das einzige Problem. Dual hatte damals die Idee mit "ULM - Ultra-Low-Mass" - die Masse des Tonarms sollte möglichst gering sein, damit es auch bei verwellteren Platten mit deutlichem Höhenschlag zu keinem Abtastproblem kommen sollte. Außerdem, so die (durchaus umstrittene) Theorie, würde die Nadel der Rillenauslenkung noch besser folgen können. Also wurde im Wortsinn massiv abgespeckt. Schließlich mussten sogar die Schrauben der üblichen Halbzoll-Befestigung dran glauben. Dual ließ von seinen Zulieferern Shure und Ortofon ULM-Spezial-Systeme entwickeln, die in den Tonarmkopf eingeklickt wurden.
ULM-Träger mit Halbzoll-Adapterplatte
Ein Systemwechsel ließ sich so in wenigen Sekunden ohne Schrauben und fummelige Kabelhülsen durchführen. Um dennoch auch Halbzoll-Systeme montieren zu können, wurde immerhin eine Adapterplatte mitgeliefert. Am anderen Ende des Tonarms musste dafür sogar ein zusätzliches Gegengewicht montiert werden - mit ULM hatte das dann allerdings nichts mehr zu tun. Außerdem lag der Arm wegen der zusätzlichen Höhe der Adapterplatte (ca. 2 mm) nicht mehr parallel zur Plattenoberfläche, dadurch stimmte auch der Aufsetzwinkel der Nadel nicht mehr - ein Problem, denn der Tonarm ist leider nicht höhenverstellbar. Als mechanische Schwachstelle erwies sich dann die winzige Plastik-Haltenase, die das ULM-System oder die Adapterplatte unter dem Trägerkopf arretierte. Diese brach irgendwann ab, so dass ich mich die letzten Jahre mit einem Kabelbinder behelfen musste, ansonsten wäre das System einfach heruntergefallen. Es blieb leider eine wackelige Angelegenheit - nicht immer waren nach dem Aufsetzen der Nadel auch beide Kanäle zu hören, weil die Federkontakte durch die fehlende Arretierung trotz Kabelbinder wohl nicht ausreichend fest angedrückt wurden.

Auch die Automatik hatte mit den Jahren gelitten, immer häufiger senkte sich der Tonarm nicht in die Einraufrille, sondern schon knapp vor der Platte ab.

Dennoch waren mit dem von mir verwendeten Ortofon OMB5-Billig-System bis zuletzt durchaus brauchbare Digitalisierungen möglich - der Frequenzgang war absolut OK, allerdings war der Klang wenig "dynamisch" und eher etwas "muffig" - was ich allerdings erst jetzt, im direkten (und lautheitskorrigierten) Vergleich feststellen kann.

Zeit also für eine Generalüberholung! Auf die Webseite der Magdeburger "Dualklinik" war ich schnell aufmerksam geworden, eine Anfrage über das Kontaktformular wurde schnell beantwortet und die Komplettrestauration inkl. Umbau des Tonarms auf Halbzoll beauftragt (Kosten insgesamt: 670 € - beinahe Neupreis. Letztlich etwas teurer als ursprünglich veranschlagt, weil ich dummerweise vergessen hatte, das Anti-Resonator-Gegengewicht für den Transport zu demontieren - es kam in Einzelteile zerlegt in Magdeburg an und musste komplett ersetzt werden). Etwa zwei Wochen war der Plattenspieler unterwegs, dann kam er zurück und sah beinahe aus wie neu. Im Karton lag ein Beutel mit allen ausgetauschten Bauteilen - sämtliche Elkos, alle Mikroschalter und die nun nicht mehr benötigten Teile der alten Systembefestigung. In der begleitenden Mail wurde ich freundlich darauf hingewiesen, dass "mit der jetzt montierten 5er Nadel [...] kein Hifi Genuss aufkommen [kann]. Man baut in die Mercedes S-Klasse ja auch keinen Motor vom VW Polo ein". Empfohlen wurde mir eine 30er oder 40er Nadel (für 270 bzw. 360 Euro). Meine Entscheidung war jedoch bereits gefallen, da ich zwischenzeitlich herausgefunden hatte, dass Ortofon für den OM-Träger eine speziell auf den Anwendungszweck der Digitalisierung optimierte Nadel mit dem schönen Namen "Arkiv" entwickelt hatte. Diese sollte besonders neutral klingen und war mit 40 Euro auch deutlich preiswerter. Davon abgesehen wusste ich, dass die Nadel ohnehin nicht der kritischste Teil der Wiedergabekette ist - das ist nämlich der Phono-Vorverstärker (auch "Phono-Stage" genannt).

Der fehlte mir noch. Bisher hatte ich bedenkenlos den Phono-Eingang meines Yamaha RX-V663-Receivers verwendet. Ich wäre nur gern auch etwas flexibler mit dem Signalrouting gewesen, deshalb sollte der Ausgang der Vorstufe auf meinem analogen LEMO-Steckfeld liegen. Also ein externer Preamp - da kam eigentlich nur ein "Black Cube" von Lehmannaudio in Frage. Diese kleinen Kistchen haben seit fast 25 Jahren einen ausgezeichneten Ruf in der "Audiophilen"-Szene. Die RIAA-Entzerrung erfolgt hier ausschließlich durch passive, selektierte Komponenten mit perfekt neutralem Frequenzgang und ebenso perfekter Wiedergabe der Transienten. Da die Firma bei uns quasi um die Ecke "wohnt", bin ich hingefahren und habe mich von Inhaber Norbert Lehmann beraten lassen. Schließlich ist es ein Black Cube SE II geworden, mit einem VP von 950 € der teuerste, aber durch sein voluminöses Netzteil auch der beste Black Cube.

Da ich selbst Vinyl-Masterfiles erzeuge, bin ich in der seltenen Lage, eine Schallplatte direkt mit ihren Masterfiles vergleichen zu können. Als Testobjekt diente mir hier eine White-Label-Testpressung von Optimal Media des im Frühjahr bei Tapete Records erschienenen Doppelalbums "The Nightmare of J. B. Stanislas" von Nick Garrie. Die folgenden Kurven zeigen den Peak- (gelb) und den Durchschnitts-Frequenzgang (grün) des Titelsongs (LP1, A1). Die dickeren Linien sind der Vinyltransfer, die dünneren das 24 Bit-Masterfile:

Anzeige Y-Achse x10 dB, Auflösung x-Achse 1/12 Oktave
Wie man sieht, unterscheiden sich die beiden Kurven praktisch nur im Tiefbassbereich, also unterhalb von 30 Hz. Dies sind die Störgeräusche der Abtastung, die ziemlich genau 20 dB mehr betragen als im Original. Verursacht durch die RIAA-Schneidekurve, nach der die Bässe beim Schnitt um 20 dB abgesenkt werden. Der Phono-Vorverstärker muss die Bässe daher spiegelbildlich wieder um 20 dB verstärken - leider werden die Störgeräusche natürlich mit verstärkt. Der Black Cube bietet mehrere schaltbare Hochpässe an; ich habe mich nach einigen Tests für eine Einstellung entschieden, die die Bässe unterhalb von 20 Hz absenkt. Dies "greift" die musikalischen Frequenzen kaum bis gar nicht an, sorgt aber dafür, dass das Gerumpel gut unter Kontrolle bleibt. Eine kleine, sichtbare Einbuße erfahren auch die Peaks oberhalb von 10 kHz - das ist wahrscheinlich die Folge eines Tiefpassfilters, den das Presswerk beim Schnitt oberhalb von 16 kHz einsetzt. Den Cube fahre ich übrigens im "MM High Output" Modus, ansonsten würde er den A/D-Wandler meines RME Fireface 800 glatt überfahren. Grund ist das relativ laute Ortofon Arkiv-System.

Entscheidend aber ist die Transienten-Wiedergabe - da ist der Black Cube durch sein passives RIAA-Filter im Vorteil - und das hört man auch. Verglichen mit dem Yamaha klingt hier alles eine Spur "klarer" und "frischer", Drums sind "knackiger" und scheinen mehr im Vordergrund zu stehen. Damit wird beinahe die Präzision des digitalen Masters erreicht - ich denke, dass die Wiedergabe vom Vinyl kaum originalgetreuer sein kann - und darauf kommt es an!

Mit dem Kurzschließer-Mechanismus der Dual-Automatik habe ich jedoch immer noch ein Problem - er knackst vernehmlich, sowohl beim Schließen als auch beim Öffnen. Zuletzt habe ich Spitzen von bis zu -5.5 dbFS gemessen. Natürlich ist die Funktion prinzipiell eine gute Idee gewesen, wird doch so das Aufsetzgeräusch der Nadel wirksam vermieden. Dafür bekomme ich zwei Knackser statt einem. Bei nächster Gelegenheit nehme ich den Mechanismus daher wohl besser außer Betrieb.

v.l.n.r.: IN R | OUT R | Netzteil-Festanschluss | IN L | Masseklemme | OUT L
Außer Betrieb genommen habe ich schon das alte Cinch-Kabel - ersetzt wurde es durch zwei symmetrische Mikrofonkabel, deren Schirme auf der Gehäusemasse des Dual liegen und die, mit Schrumpfschläuchen sorgfältig isoliert von der Tonmasse, am Klemmanschluss auf der Rückseite des Cube geerdet sind. Auf nebenstehendem Foto gut zu erkennen sind die braunen Litzen, die hinten aus den vergoldeten Cinch-Steckern herausgeführt sind. Dadurch habe ich nun eine perfekt symmetrische Signalführung, die die Brummeinstreuung (dafür war der Plattenspieler im Studioumfeld immer etwas anfällig) deutlich minimiert hat. Sie liegt nun in der Größenordnung -70 dBFS - ohne Platte. Das ist ein perfekter Wert, der mit Platte sowieso nie erreicht werden kann.

Fazit: Trotz des hohen finanziellen Aufwands hat sich die Umrüstung gelohnt. Für die nächsten 35 Jahre habe ich jetzt Ruhe - und mein Studio eine professionelle und völlig neutrale Vinyl-Wiedergabe. Der nächste Vinyl-Restaurations/Mastering-Auftrag ist schon eingetroffen - da freue ich mich drauf! 😊



Montag, 2. September 2019

THE CURE - 12" (1981-86)

The Cure habe ich 1981 in Essen gesehen. Vor ca. 150 Zuschauern im halb leeren "Saalbau" - die kannte damals in Deutschland ja keiner. Sie hatten gerade ihr drittes Album "Faith" rausgebracht. Vor dem Konzert spielten sie den "Carnage Visors"-Film mit dem hypnotisch-genialen 27minütigen Instrumental-Soundtrack, den es auch auf der B-Seite der Cassette von "Faith" und sehr viel später (2005) auch auf der Deluxe Edition CD gab. Den merkwürdigen Puppentrick-Animationsfilm habe ich nie wieder gesehen, aber ich habe noch das Booklet mit einigen Standbildern darin; das gab es im "Saalbau" am Merch-Stand.
The Cure waren einfach großartig damals. Die ersten vier Alben "Three Imaginary Boys",, "Seventeen Seconds", "Faith" und "Pornography" (1979-82) sind legendäre Meisterwerke. Meine Begeisterung ließ allerdings nach den ersten Umbesetzungen etwas nach. "The Head On The Door" (1985) war noch ganz gut und ein paar der kommerzielleren Singles später haben mir auch gefallen, aber mit den späteren Alben bin ich in voller Länge nicht so recht warm geworden. Nein auch nicht mit "Disintegration" (1989), das heute oft, aber zu Unrecht als Meisterwerk und Nachfolger von "Pornography" gelobt wird. Anders als letzteres ist es nämlich nur schwermütig und vor allem laaang (72:25 min Laufzeit für die CD).

Nach "Pornography" war das Trio jedoch am Ende. Bassist Simon Gallup und Sänger/Gitarrist Robert Smith hatten sich übel verkracht mit dem Resultat, dass Gallup für fast drei Jahre ausstieg. Mehr als zwei Jahre lang wurde gar kein Album veröffentlicht, stattdessen eine Reihe von Singles und Maxis, mit vielen Stücken, die nie auf einem regulären Studioalbum landeten und die ich hier (zusammen mit anderen) kurz vorstellen will:

(Vergrößern durch Anklicken)
Acht CURE 12" aus meiner Sammlung, alles UK-Pressungen bis auf die letzte unten rechts.

Die oberen und ersten vier mit ausschließlich Non-Album-Tracks, links Charlotte Sometimes (1981) ist die älteste und heute wertvollste. Sie kam ein halbes Jahr nach "Faith" heraus. Zweiter Titel der A-Seite ist das perkussive Splintered In Her Head und eine über 10minütige extrem gedehnte Live-Version von Faith hat die B-Seite für sich allein.
Mitte oben links dann die erste Maxi der Duo-Phase: Let's go to bed (1982), ein recht radikaler Stilwechsel nur ein halbes Jahr nach dem suizidgefährdenden "Pornography"-Album hin zu leichterer Musik. Die B-Seite Just One Kiss übt sich in ähnlicher Poppigkeit. Die ein weiteres halbes Jahr später erschienene 12" mitte oben rechts hat eigentlich keinen richtigen Titel, weil keiner der vier so richtig herausgestellt wird, aber sie wird im Volksmund einfach "The Walk-E.P." genannt. Sie hat die eigenartige Tracklist A1 The Upstairs Room, A2 The Dream, B1 The Walk, B2 Lament - eine klassische E.P. oder ein Mini-Album also. Daraus ausgekoppelt gab es The Walk auch als 7"-Single (mit The Dream als B-Seite), deren Video im noch recht frischen MTV damals ziemlich Furore durch seine ausgelassene Verrücktheit machte. Nur drei Monate später machte das jazzige The Love Cats (oben rechts) dann das Trio komplett und wurde sogar der erste Top 10-Hit (#7 UK). Hier gab es die "Extended Version", die die deutsche Plattenfirma Metronome glatt zur "Disco Version" erklärte, zusammen mit den beiden B-Seiten-Stücken Speak My Language und Mr Pink Eyes. Durch den Erfolg ließ die Zweitverwertung nicht lange auf sich warten: noch im Dezember 1983 erschien der Sampler "Japanese Whispers (The Cure Singles Nov 82 : Nov 83)", dessen Inhalt aus den Songs dieser drei Non-Album-Maxis der Duo-Phase (minus Mr Pink Eyes) bestand. Den Zusatz in Klammern trug nur die UK-Vinylausgabe, was zur Folge hatte, dass Uneingeweihte "Japanese Whispers" bis heute für ein reguläres Album halten.

Die zweite Reihe: The Caterpillar (1984), In Between Days (1985) und Close To Me (1985) waren normale Album-Auskoppelungen, immerhin gab es weitere Non-Album-Tracks auf den B-Seiten. Ab 1985 war auch Simon Gallup wieder dabei - seine Basslinien hatte man vermisst.
Boys Don't Cry (New Voice - New Mix) (1986) war wie im Untertitel schon ersichtlich, ein Remix der dritten Cure-Single von 1979 mit neuen, zeitgemäß etwas mehr quengeligen und stärker verhallten Vocals. Interessanter waren die beiden Non-Album-Tracks aus der Zeit des Debütalbums, Pillbox Tales und Do The Hansa.

Danach wurde es mir langsam zu unübersichtlich, zumal ich mich auch über die Close To Me-12" geärgert hatte, denn die nur etwas später erschienene, natürlich noch limitiertere 10" hatte noch einen Non-Album-Track mehr zu bieten. Inzwischen sind natürlich alle Non-Album-Tracks entweder auf den Deluxe-Editionen der Alben oder im B-Seiten-Boxset "Join The Dots" (4CD, 2004) erschienen, leider allesamt aus dem Kontext gerissen.

GOVI Sampler: German Rock Scene Vol. I - VI (1975-80)

Der Sammlerwert dieser schönen, vorn leider nicht besonders abwechslungsreich gestalteten LP-Sampler der Firma GOVI beträgt derzeit zusammen nicht einmal 30 Euro, aber in meiner Sammlung haben sie ein Ehrenplätzchen:


Zwischen 1975 und 1980 kam jedes Jahr eine dieser Platten heraus und da sie mit 5,- DM günstiger waren als eine Single, hatte ich nicht gezögert. In GOVIs kleinem, aber gut sortierten Plattenladen auf der Brückstraße in Dortmund war ich ohnehin Stammkunde und in der Tat habe ich mir einige gute Anregungen holen können. Das Erscheinen der letzten, seltsamerweise anders gestalteten LP hatte ich jedoch verpasst - die habe ich mir der Vollständigkeit halber vor ein paar Jahren zugelegt.

Natürlich gab es diese Sampler rein zu Promotionzwecken - deshalb wurden sie in enger Kooperation mit den Plattenfirmen erstellt. GRS I hatte sogar ein Standard-Label von Brain. Mit Sky Records war auch ein echtes Indie-Label regelmäßig dabei - was damals ein kluger Schachzug war, da deren Platten im Radio seltener gespielt wurden.

GRS I (Brain/Metronome) 1975:
Neu: Neuschnee 3:59, Emergency: Confessions 4:00, Jane: Out In The Rain 5:48, Novalis: Banished Bridge 5:36, Curly Curve: Hell And Booze 4:03, Guru Guru: Samantha's Rabbit 2:54, Lava: Holy Fool 5:17, Embryo: Radio Marrakesch 2:25, Thirsty Moon: Das Fest Der Völker 5:02, Kollektiv: Baldrian 7:05

GRS II (Sky Records, BASF, CBS, Onagram, Teldec) 1976:
Harlis: BMW 5:03, Tritonus: Lady Turk 5:05, Birthcontrol: Rockin' Rollin' Roller 5:43, Ramses: La Leyla 7:25, Streetmark: Eleanor Rigby 5:30, Percewood's Onagram Feat. Michels: I've Got My Woman 4:36, Message: Before The Dawn 6:01, Embryo: Music Of Today 4:12, Kin Ping Meh: Good Time Gracie 3:22

GRS III (Sky Records) 1977:
Michael Rother: Flammende Herzen 7:02, Harlis: Night Meets The Day 5:00, Bullfrog: I Came From The Sky 4:45, Breakfast: Needing You 4:13, Ramses: Noise 6:25, Octopus: The First Flight Of The Owl 5:09, Streetmark: Reality Airport 5:55, Cluster: Sowiesoso (Excerpt) 3:30

GRS IV (A-Seite: Teldec, B-Seite: Sky Records) 1978:
Udo Lindenberg: Schneewittchen 4:20, Ulla Meinecke: Ex Und Hopp Mann 3:43, Jutta Weinhold: Keep On Running 2:54, Amon Düül II: One Blue Morning 7:30, Satin Whale: Reminiscent River 4:12, Michael Rother: Sonnenrad (Kurzversion) 3:13, Bullfrog: A Housepainter's Song 8:45, Octopus: The Delayable Rise Of Glib, Part II 3:43, Shaa Khan: World Will End On Friday 4:47, Streetmark: Tomorrow 1:11

GRS V (Brain/Metronome) 1979:
Birth Control: The Last Survivor 4:30, Jane: Fire 4:06, SFF: Explorer 4:55, Guru Guru: I'm Rolling Through The City 4:30, Grobschnitt: Travelling 6:50, Novalis: Brandung 3:42, Message: World Keeps On Turning 4:59, Accept: Helldriver 2:40

GRS VI (A-Seite: Innovative Communication/WEA, B-Seite: Sky Records) 1980:
Robert Schröder: Harmonic Ascendant (Auschnitt) 6:20, Richard Wahnfried: Charming The Wind 4:48, Mickie D's Unicorn: The Searcher 5:31, Baffo Banfi: Astralunato 3:51, Mickie D's Unicorn: Black Riders (Anhang) 0:38, Adelbert Von Deyen: Timemachine 5:02, Octopus: Black Points 3:37, Straight Shooter: Love In My Mind 3:11, Faithful Breath: This Is My Love Song 2:57, Mythos: Conjuration 1:27, Harald Grosskopf: Emphasis 4:55


Mein Favorit ist übrigens die zweite Seite von GRS IV - da gibt es nicht nur keinen Ausfall, sondern auch die komplette 8:45 lange, großartige Prog-/Hard Rock-Ballade A Housepainter's Song von Bullfrog, die ich sicherlich sonst nie kennen gelernt hätte:


Freitag, 23. August 2019

Spielereien mit Stems

Bekanntlich kann man sich u.a. von dieser Seite https://remixpacks.ru/ haufenweise und kostenlos sogenannte Stems von Songs aller möglichen Genres runterladen.

Stems sind quasi Subgruppen-Mixe von normalen Stereoabmischungen, also keine Einzelspuren von Multichannel-Tapes, sondern Sub-Mixe einzelner oder mehrerer Instrumentengruppen. Diese ergeben idealerweise, bei gleichem Pegel zusammengemischt, wieder den gewohnten Stereomix.

Die meisten der dort angebotenen Stems sind Rips von Spielen wie "Rock Band" oder "Guitar Hero" etc. und haben unterschiedliche Qualität. Bei erstgenannten scheint es sich um FLAC-Dateien mit 44,1 kHz und mindestens 16 Bit zu handeln, also normale CD-Qualität. Es gibt aber auch viele Stems im datenreduzierten Format Ogg Vorbis. Interessant ist, dass Songs, die als Normalversion eine Ausblende haben, hier oft länger laufen und einen richtigen Schluss besitzen. Auf einer Spur befindet sich auch ein Einzähler. Die Stems-Pakete von "Jammit" haben zusätzlich zu den "normalen" Stems auch verschiedene Versionen des Songs jeweils ohne Bass, ohne Gitarren, ohne Drums und ohne Vocals, die zum Jammen ganz hervorragend geeignet sind, je nachdem, welches Instrument man spielt.

Nun ist es schon allein absolut faszinierend, in einzelne Spuren von bekannten Songs isoliert reinzuhören, aber die Idee, die Songs gleich neu abzumischen, liegt natürlich auf der Hand.


Ich hatte gleich entdeckt, dass es auf der oben genannten Seite sämtliche Songs des ersten (legendären) Album von THE CARS (in der "Rock Band"-Version) gibt und habe den folgenden Abend mit einem unterhaltsamen 5.1-Remix am Pro Tools verbracht. Das CARS-Album hat pro Song sieben Stems, je einen für Vocals, Snare, Kick, Guitar, Cymbals, Bass und Backing, alle in Stereo bis auf den Bass.

Auf dem "Cymbals"-Stem ist das komplette Drumset außer Kick und Snare drauf, die gibt's ja extra. "Backing" ist eher eine Wundertüte, denn da finden sich außer den Keyboards auch Backing Vocals, zusätzliche Gitarren und Effekte. Diese Spur kommt also nach hinten auf Ls und Rs. Die Vocals müssen ja irgendwie in den Center, was aber bei einer Stereospur bedeuten würde, dass sie dann mono wäre - schlecht für die Backing Vocals, die auch da enthalten sind. Also das DTS Neural Upmix-Plugin eingeschleift, das den Stereo-Stem nach 5.1 konvertiert. Jetzt kommt der Hall der Vocals auch hinten an und der Leadgesang ist da, wo er hingehört: im Center-Kanal. Das Plugin hab ich gleich auch beim "Cymbal"-Stem eingesetzt, was die Drums über die ganze Fläche schön räumlich verteilt. Die Gitarren kommen etwas nach "vorn", also fast auf der Hälfte zwischen L/R und Ls/Rs. Bass in den Center und Anteile von Kick und Bass noch auf den LFE. Alle Pegel auf 0, fertig. Klingt schon toll so. Beinahe jedenfalls.
Einiges Finetuning kommt noch auf mich zu, weil die Backing Vocals auf dem "Backing" Stem manchmal deutlich leiser sind als die auf dem "Vocals"-Stem. Offenbar war da ein Limiter am Werk, der die Vocals abgesenkt hat, denn ich kann die Spur nicht komplett lauter machen, weil dann die Keyboards zu laut wären...

Jedenfalls lässt sich so also mit relativ geringem Aufwand eine 5.1-Mischung basteln, der man nicht anhören kann, dass die Möglichkeiten hier eingeschränkt waren.

Das CARS-Album klingt im neuen 5.1-Mix großartig, die Stems sind absolut sauber produziert. Im direkten Vergleich fällt die Stereofassung (der Deluxe-Edition von 1999) doch ziemlich platt und dünn aus. Klar, die dritte Dimension fehlt hier, aber offenbar auch die Power. Toll auch, dass die drei Songs, die im Original ausgeblendet sind, hier ausgespielt werden, was im Fall von My best friend's girl zwar nur sechs weitere Sekunden bringt, darin jedoch ein richtiger Schluss gespielt wird. Gut 25 zusätzliche Sekunden bekommt man immerhin bei Don't cha stop und All mixed up, während der synthetische Wind im Intro von Moving in Stereo (das jetzt eigentlich "Moving in Surround" heißen müsste) locker doppelt so lang ist. Was leider aber auch das Problem mitbringt, dass auf demselben Stem eine Hi-Hat vier Einzähl-Schläge spielt, bevor die Gitarre einsetzt. Klar, die Kinder mit ihren albernen Fake-Instrumenten sollen ja eine Chance auf einen korrekten Einsatz bekommen. Diese Schläge wieder rauszubasteln war jedenfalls eine längere Aktion - die sich aber gelohnt hat.

Das nächste Album steht schon an, und da bleibe ich mal gleich in Boston, der Heimatstadt der Cars: "BOSTON" von BOSTON (1978). Es fehlt leider der letzte Song des Albums "Let me take you home tonight" (auch der einzige Song, der nicht von Mastermind Tom Scholz geschrieben ist), dafür sind von allen anderen Songs gleich je zwei Versionen ("Rock Band" und "Jammit") mit unterschiedlich bestückten Stems vorhanden. Dazu kommen noch die erwähnten Playbacks von "Jammit". Mal sehen, wie sich das gescheit nutzen lässt...

Freitag, 9. August 2019

Für die Freunde des gepflegten Rundumklangs... (10)

Hallo zusammen,

nach dem Ansturm vom letzten November gab es erstmal eine ziemliche Flaute, was die Surround-Releases angeht, so scheint es zumindest. Jetzt sind immerhin ein paar Sachen angekündigt, so dass sich jetzt vielleicht eine neue Ausgabe dieses Newsletters lohnt.
Am 27. September erscheint "Abbey Road" (dass dies das letzte "richtige" Studioalbum der Beatles war, muss wohl nicht erwähnt werden), wie die beiden letzten Boxen wieder pünktlich zum 50. Jubiläum. Angekündigt ist es in fünf unterschiedlichen Formaten, für uns ist nur die 3CD/1BD "Super Deluxe Edition" interessant, denn nur die enthält den neuen 5.1-Surroundmix, zusätzlich gibt es jedoch erstmals auch einen Dolby Atmos Mix (und natürlich auch einen neuen Stereomix – tatsächlich ist der alte Stereomix nicht enthalten). Die beiden Extra-CDs enthalten wieder Demos und Outtakes, wobei es wie beim "White Album" auch hier wieder kaum Überschneidungen mit Anthology 3 gibt – die beiden einzigen dort schon erschienenen Stücke sind Paul McCartneys Demo von Come and get it für die erste Single der Apple-Band "Badfinger", sowie George Harrisons Demo von Something, das hier aber nicht mehr in mono, sondern in einem schönen neuen Stereomix erstrahlt.
Something ist auch so etwas wie die Single-vorab-Auskopplung des Albums – die es jetzt bei Spotify und wahrscheinlich auch bei anderen Streamingdiensten gibt - hab ich mir gestern gleich dreimal hintereinander angehört (und zwischendurch immer wieder mit dem Originalmix verglichen). Unglaublich, was Giles Martin da rausgeholt hat!
Gleich am Anfang kommt schon das Drumfill deutlich voluminöser, dann fällt sofort auf, dass der Bass nicht mehr rechts sondern in der Mitte steht. Drums, Orgel und Vocals scheinen hier deutlich präsenter zu sein. Aber dann setzen die Streicher ein und sie sind in Stereo, nicht mehr in Mono - und viel dynamischer als vorher. Das allein ist traumhaft. - Im direkten Vergleich klingt der neue Mix lebendig und aufregend - der alte dagegen flach, ohne Dynamik und langweilig.
Sooo super-limited scheinen die Beatles-Boxen übrigens nicht zu sein – das "White Album" gibt es immer noch und der Preis ist inzwischen unter 100 Euro im vernüftigen Bereich angekommen.


Jethro Tulls 1979er Album "Stormwatch" erscheint am 11. Oktober im beliebten Buchformat ihrer bisherigen Anniversary-Rereleases (ausgenommen "Benefit", das ja im schnöden Digipak daherkam). Wieder und dem Vernehmen nach zum letzten Mal neu abgemischt von Steven Wilson – die Tull-Alben danach scheinen ihn nicht mehr zu interessieren. Finde ich witzig, denn mir geht es genauso. Ob es daran lag, dass Anderson und Barre alle anderen Begleitmusiker erstmal in die Wüste geschickt hatten und nach zwei Jahren Pause mit neuen Leuten stilistisch eher verschlungene Pfade einschlugen, man weiß es nicht.
Inzwischen sind die wichtigsten früheren Alben in diesem Format vergriffen (die Reihe läuft ja schon seit mehreren Jahren) und erzielen astronomische Preise auf dem Gebrauchtmarkt. 
"Stormwatch" hat diesmal sogar sechs Discs (4CD/2DVD), die gefüllt sind mit 15 sogenannten "Associate Recordings" (Outtakes und B-Seiten, darunter auch Broadford Bazaar, das es mal als Bonustrack von "Heavy Horses" gab, aber in der Buch-Box des Albums fehlte). Sieben davon sind unveröffentlicht. Auf zwei CDs gibt es das komplette Konzert "Live in the Netherlands (March 16, 1980)", ebenfalls unveröffentlicht. Die DVDs haben neben dem eigentlichen Album mit drei Tonspuren (5.1-Mix, 1979 und 2019 Stereomix) immerhin 13 von 15 "Associate Recordings" ebenfalls in 5.1 und Stereo neu abgemischt.
Ein schöner Abschluss der Reihe. Nun bitte auch "Benefit" in diesem Format – macht sich bisher bei mir im Regal nicht so gut (siehe Bildmitte):
Amazon-Link

Im letzten Newsletter hatte ich auf Be-Bop Deluxe hingewiesen, deren vielleicht bekanntestes Album "Sunburst Finish" als 3CD/1DVD-Boxset erschienen war, nun ist im gleichen Format und gleicher Ausstattung (Schuber mit Buch und vielen Beigaben, ca. 25 x 25 cm) auch das Vorläufer-Album "Futurama" erschienen. Inzwischen habe ich mir beide Boxen besorgt – die Aufmachung ist toll und lässt keine Wünsche übrig, der Sound (neuer Stereo und 5.1-Mix) ist gelungen und eine hörbare Verbesserung gegenüber dem alten Mix.
Amazon-Link  - ich habe aber direkt bei der Plattenfirma Cherry Red bestellt. 51,49 Pfund incl. Shipping ist immer noch billiger als die 70 Euro, die Amazon und andere hierzulande dafür haben wollen:
Cherry Red-Link



Für Soundtrack-Freunde: Howard Shore ist Filmkomponist und hat u.a. den Soundtrack zu Peter Jacksons "Lord of the Rings" komponiert. Das im April erschienene 4-Disc-Boxset gab es schon mal in 2005, damals jedoch mit einer DVD-Audio (und lang vergriffen). Jetzt mit Blu-ray anstelle.
Das ist Teil 1: "Fellowship of the Ring". In gleichem Format sind natürlich auch die Soundtracks der beiden anderen Teile erschienen.



Steven Wilson hat einiges Material aus dem 16CD/2BD-Boxset von Tangerine Dream "In Search Of Hades – The Virgin Recordings 1972-1979" neu abgemischt in Stereo und 5.1 – nicht allzu viel leider, denn es waren kaum noch Mehrspurtapes aus der Zeit vorhanden. So konnte er letztlich nur zwei Stücke von "Phaedra" und das live aufgenommene "Ricochet" neu abmischen. Bei den Ausgrabungen fanden sich aber noch die Multitracks eines nie erschienenen Soundtracks zu "Oedipus Tyrannus", aufgenommen im Juli 1974 – auch das ist auf der Blu-ray in 5.1 mit drauf.
Enthält neben den Alben: "Phaedra", "Rubycon", "Ricochet", "Stratosfear", "Encore", "Cyclone" und "Force Majeure" (diese sind in den neuen Versionen auch einzeln erhältlich) auch noch jede Menge CDs mit Outtakes und Live-Mitschnitten. Die Verpackung soll aber ein wenig enttäuschend sein, erstaunlich für diesen Preis.

Viel Spaß und liebe Grüße
tom

Montag, 24. Juni 2019

ALAN PARSONS LIVE PROJECT - Live in Düsseldorf, Mitsubishi Electric Halle, 19.6.2019

Vielleicht sollte ich vorausschicken, dass ich 1976 ein großer Fan des "Tales of Mystery and Imagination - Edgar Allan Poe"-Albums war. Das legendäre Debütalbum des Alan Parsons Projects hatte ich auszugsweise im Radio gehört und war nicht nur von der Musik begeistert, sondern auch von dem hochwertigen Albumcover der legendären Designagentur Hipgnosis und dem eingehefteten Booklet mit den Texten und den unheimlichen Fotos von Storm Thorgerson, Aubrey Powell und Peter Christopherson, die die Songs hervorragend illustrierten. Mich faszinierte das Konzept des Albums so sehr, dass ich mir Gesamtausgaben von Poes Werken zuerst im Original und dann (weil ich kaum etwas verstanden hatte) auch in der deutschen Übersetzung von Arno Schmidt und Hans Wollschläger besorgte. Faszinierend fand ich auch, dass Namensgeber des "Projects" kein Musiker, Sänger oder sonstiger Performer war, sondern der Toningenieur des Albums. Mischpulte mit ihren endlosen Reihen an Knöpfen und Fadern interessierten mich seitdem.

Die Latte lag also ziemlich hoch - aber das zweite Album "I Robot" enttäuschte gleich doppelt. Ich war damals schon lange ein großer Fan von Isaac Asimov und kannte die gleichnamige Kurzgeschichtensammlung natürlich. Leider hatte das Album nur den Namen, aber kein Robbie, keine Susan Calvin, kein entsprechendes Konzept - auch wenn Songtitel wie I wouldn't want to be like you und Genesis Ch.1, V. 32 eine gewisse Nähe zur Vorlage zu suggerieren schienen. Dass rechtliche Gründe hier die Verantwortung für das fehlende Konzept spielten, wurde erst später bekannt, aber auch die Musik schien deutlich weniger ambitioniert zu sein. In der Nachbetrachtung blieb "I Robot" trotzdem das zweitbeste Project-Album aller Zeiten, aber das konnte man damals ja noch nicht ahnen.

Da musste doch noch mehr drin sein - die Hoffnung wollte ich lange nicht aufgeben. Aber die Folgealben enttäuschten weiterhin zuverlässig - jedes Jahr gab es ein neues "Konzeptalbum" mit ähnlich vagen Konzepten wie bei "I Robot" und trotz einiger herausragender Einzeltitel schien es stets noch ein wenig schlechter, glatter, beliebiger zu sein als der jeweilige Vorgänger. "Eve" (Album Nr. 4) hatte ich mir dann schon gar nicht mehr gekauft. Dass "Eye in the Sky" (Album Nr. 6) dann der große Hit wurde, hatte ich nur noch am Rande mitbekommen. Diese Musik interessierte mich nicht mehr. 1982 gab es wahrlich aufregendere Musik als diese.

Dennoch bekommt man ja so einiges mit. Die Trennung von Parsons und Woolfson war Anfang der 1990er in den Medien; dass A.P. solo weitermachte, hatte ich mitbekommen, auch, dass er nach gut 18 Jahren erstmals auf Tournee ging, aber interessant fand ich diese Meldungen eher nicht.
Im Zuge der Neuausgaben von "Tales" und zuletzt "Eye" (2018) in 5.1 Surround fand ich jedoch wieder etwas Geschmack und konnte nun auch dem späteren Hit-Album etwas abgewinnen. Etwa um diese Zeit bekam ich einige Dateien zugespielt, die eine quadrophonische Konvertierung des im "Ambisonic"-Formats codierten Albums "Stereotomy" (Nr. 9, 1985) darstellten. Damit hatte ich ein wenig herumgespielt und schließlich eine durchaus anhörbare 5.1-Version dieses (leider doch sehr unterdurchschnittlichen) Albums für den Eigengebrauch produziert. Immerhin hatte ich mich so wieder mit Alan Parsons Werk beschäftigt und durchaus einigen Spaß daran gefunden. Die Ankündigung der Tour in diesem Jahr nutzte ich dann zu einem Spontankauf zweier Tickets für Düsseldorf, "Mitsubishi Electric"-Halle (die frühere "Philips"-Halle).

Die Idee hatten offenbar viele annähernd Gleichaltrige. Die Halle war jedenfalls voll mit weißen Köpfen, ein Anblick, der immer etwas unangenehme Erwartungen schürt, besteht doch das Publikum solcher Konzerte meist aus der Zielgruppe der unsäglichen Hitradios, die sich selbst mit "die größten Hits der 60er, 70er und 80er" bewerben - und das dann als Legitimation nehmen, eine kleine Rotation von vielleicht höchstens zweieinhalbtausend Hits dieser Zeit in Endlosschleife abzunudeln. Für Fans, denen es nichts ausmacht, z.B. von Toto immr wieder nur die zwei Titel Rosanna oder Africa vorgesetzt zu bekommen und die sich jedes Jahr zu Weihnachten an Last Christmas das Herz erwärmen. Da könnte ich... na, lassen wir das lieber.

Meine Erwartungen gingen also gerade in den Keller, als es einigermaßen pünktlich und ohne Vorgruppe losging. Ein bisschen erschrocken war ich vom Anblick des inzwischen 70jährigen Alan Parsons, der einigermaßen Mühe hatte, seine beachtliche Körperfülle die drei Stufen zu seinem Podest in der Bühnenmitte hochzuwuchten. Er nahm dann auch gleich auf seinem Hocker Platz und überließ die Show seinen mir völlig unbekannten Musikern.

Den Sound fand ich halbwegs OK (Innenraum etwas links von der Mitte), aber irgendwie war alles etwas zu leise für die üblichen Filter (-15 dB), die ich in meinen Hörschutz-Stöpseln drin hatte. Also in der Pause auf die mit der geringsten Dämpfung gewechselt, da war es dann etwas zu laut. Die mittleren hatten dann einigermaßen gepasst, aber seltsam klang es trotzdem. Aus der PA kam ein reines Monosignal und alles war ungefähr gleich laut (oder leise, je nach Filter). Offenbar fehlte es an der Differenzierung.
Die Lightshow (wenn man sie denn so nennen möchte), war ziemlich dürftig, ein paar Reihen Scheinwerfer, völlig unspektakulär, keine Projektion auf dem Hintergrund oder ähnliches. Die Spots für die jeweiligen Solisten kamen oft zu spät.

Ähnlich müde fand ich auch die musikalische Performance. Da fehlte vor allem in der ersten Hälfte die Spielfreude, man hatte den Eindruck, hier agierten bezahlte Studiomusiker, die vielleicht doch lieber gerade woanders wären (Ausnahme: natürlich der Bassist). Alan Parsons eigene Beiträge waren vernachlässigbar - meistens saß er auf seinem Podest und spielte eine akustische Gitarre, die man im Mix gar nicht hören konnte. Bei drei oder vier Songs übernahm er den Leadgesang, darunter auch einige Stücke, die im Original von Eric Woolfson gesungen wurden. Das gelang einigermaßen gut - aber der super-souveräne Sänger ist er nicht. Der vergleichsweise junge blonde Leadgitarrist durfte es ein paarmal übertreiben mit seinen Soli, aber so richtig inspiriert war auch er nicht, guter Handwerker immerhin. Das Publikum ging auch nicht so richtig ab, jedenfalls wurde es mehrfach aufgefordert, mitzuklatschen und aufzustehen, was aber (zum Glück) immer nur für ein paar Minuten funktionierte.

Nach der Pause wurde es zum Glück etwas lebendiger. Chris Thompson wurde angesagt und frenetisch bejubelt, war aber leider gar nicht gut bei Stimme. Er machte aber das beste draus und das Publikum schien sich nicht daran zu stören, dass man die vielleicht beste Rock-Stimme aller Zeiten nur noch erahnen konnte. Sang dann auch nur einen Song, den ich nicht kannte. Die letzte Viertelstunde konnte das Konzert dann nur noch im Stehen genossen werden, weil es die Leute (wiederholt aufgefordert) endlich doch nicht mehr auf den Stühlen hielt. Meine Begeisterung hielt sich jedoch in Grenzen. Ich hatte die ganze Zeit eher den Eindruck, einer Alan Parsons Project-Coverband zuzuhören, die zwar handwerklich gut war, aber keinen echten Bezug zum Repertoire hatte. Nicht allzu weit hergeholt, der Gedanke - hatte doch keiner der hier anwesenden Musiker auf den Erfolgsalben gespielt (Parsons selbst mal fairerweise ausgenommen, obwohl sein eigener instrumentaler Beitrag zu den Project-Alben ja recht überschaubar war).

Erstaunlich gut passten die neuen Songs zwischen die ganzen Klassiker. Das bemühte One Note Symphony (ein eher misslungener Versuch, eine Gesangsmelodie mit nur einer einzigen Note durchzuziehen) wurde direkt zum Auftakt abgehakt (eine mutige Entscheidung), so dass die anderen glatt durchliefen, von mir nur bemerkt, weil ich das neue Album zuletzt ein paarmal gehört hatte.

Glatt durchlaufen, das schien auch das Ziel des ganzen Konzerts gewesen zu sein - mir war alles ein wenig zu glatt, zu steril, zu langweilig. Weil es mein erstes (und letztes) Alan Parsons-Konzert war, bin ich immerhin nicht eingeschlafen, sondern habe mich mit meiner Begleitung in der Summe dennoch ganz gut unterhalten gefühlt. Aber auch sie war nicht wirklich überzeugt von diesem Konzerterlebnis.

Dienstag, 30. April 2019

ANTHONY PHILLIPS - Slow Dance (2CD/1DVD Remix Stereo/5.1)

1988-89 aufgenommen und am 24. September 1990 als erstes neues Album seines Vertrags mit Virgin Records veröffentlicht, ist "Slow Dance" das vielleicht letzte "echte" Soloalbum von Anthony Phillips - mit für diesen Zweck komponiertem und vollständig instrumentiertem bzw. orchestriertem Material. Alle anderen Alben danach bestanden entweder aus Zweitverwertungen von älteren Stücken oder auch nur aus einfachen, meist solo-instrumentalen Skizzen, von denen nur die wenigsten ursprünglich für einen Album-Kontext vorgesehen waren.


Als einziges seiner Alben gliedert sich "Slow Dance" in zwei gleich benannte und etwa gleich lange Teile, die ähnlich einer klassischen Serenade in jeweils vier thematisch unterschiedliche Sätze (ich nenne sie im Folgenden "Movements") mit jeweils eigenen Spannungsbögen gegliedert sind, ohne dass die Grenzen dieser Teile auf den Tonträgern erkennbar wären, sei es durch Zwischenrillen beim Vinyl oder Trackmarken bei der CD. Die "Slow Dance"-LP hat zwei Seiten ohne sichtbare Unterteilungen und die CD dementsprechend genau zwei Tracks. Die Einteilung in acht Sätze ist daher keine offizielle; sie dient hier nur der Veranschaulichung.

Es folgt der Versuch einer Übersicht über die Melodie-thematischen Bestandteile des Werks. Die Bezeichnungen Lenta Chorum, Single Demo und No Way Out entsprechen den Themen der gleichnamigen Einzeltitel auf der Bonus-CD. Die "Harp-Section" wird in den Credits erwähnt.


Slow Dance (Part 1)

Movement 1: "Lenta Chorum"

0:00 Das Eingangssthema des Werks beginnt mit einem verhalten spielenden Orchester, das die String-Synthesizer im Vordergrund nicht verdrängen kann. Darunter liegt ein starkes, windartiges Rauschen.

0:53 Erstmaliger Einsatz der synthetischen Nylon-Gitarren, die das Thema aufgreifen und variieren, versehen mit einem schwirrenden Echo, das an diesem stark künstlich wirkenden Klang nichts verbessern kann.

1:30 Nun greift die Flöte dasselbe Thema auf, unterlegt von einem orgelartigen Synthesizerklang.

1:46 Zweiter "Gitarren"-Part, durch die schnellen Arpeggios fällt der Plastikklang noch unangenehmer auf.

2:18 Das Thema wird nun wieder vom Orchester und den Flöten übernommen, allerdings in einem höheren Register, feierlich getragen, aber optimistisch.

2:49 Das Thema verkehrt sich ins Finstere, viele schwerblütig-dunkle Akkorde und einige schräge Tonartwechsel vermitteln eine nun eher bedrohliche Stimmung.

3:14 Die Flöten greifen nun den zweiten Gitarrenpart melodisch auf. Er steigert sich zum kraftvollen Finale des ersten Spannungsbogens – mit Akkordvariationen einer an Tony Banks erinnernden Vielfalt. Da die meisten der in Lenta Chorum verwendeten Themen im späteren Verlauf erneut auftauchen, meist variiert in Arrangement, Tempo und Harmonie, kann dieser erste, quasi in sich abgeschlossene Teil des Werks als eine Art Ouvertüre angesehen werden, auch wenn wichtige zentrale Themen hier fehlen.


Movement 2: "HarpSection"

5:07 Nach dem Verklingen des Sturms geht es ruhiger weiter. Das Speachi Quartet mit Harfe, Oboe, Piccoloflöte und Klarinette bittet zur gepflegten Volta. Man umkreist sich im gemächlichen 3/4-Takt.

7:00 Kurzes Einsetzen der Streicher, eine einfache absteigende Melodie wird zweimal durchgespielt,

7:21 danach wird das Speachi Quartet -Thema wiederholt.

7:45 Eine weitere Streicher-Einlage, diesmal mit dem Single Demo-Thema, das hier zum ersten Mal erklingt und ebenfalls zweimal durchgespielt wird. Anschließend direkt überleitet zu

8:08 einem neuen Flöten-Thema, hier jedoch von einem Synthesizer gespielt mit untergelegten Harfen-Pizzikatos.

9:08 Speachi Quartet, Teil 3 und Schluss des zweiten Spannungsbogens.


Movement 3:

9:38 Beginnt mit auf dem letzten Ton des zweiten Movements mit stur durchgespielten Achtelnoten von einem Synthesizer. Darüber spielt anfangs ein monophoner Synthesizer ein einfaches Solo. Das Stück steigert sich langsam.

11:38 Ein Akkordwechsel steigert die Spannung, die sich schließlich

12:01 in einem stark rhythmusbetonten Stück auflöst. Handclaps und verschiedene Arten von Percussion lassen nur wenig Raum für ein sehr weit in den Hintergrund gerücktes Stratocaster-Solo.

14:03 Der Rhythmus stoppt abrupt und man hört eine kurze Variation der Lenta Chorum-Akkorde, bevor

14:26 schließlich ein künstlicher Chor einsetzt.

14:51 Hinter dem Chor krachen die Timpanis des Orchesters, es endet auf der Dominante (A) ohne zur Tonika (D) zurückzukehren.


Movement 4: "Guitar Adagio"

15:29 Das Guitar Adagio-Thema beginnt dafür gleich danach in D. Sparsame, perkussive Synthieklänge treffen sich mit wunderschönen echten Stratocaster-Arpeggios.

16:33 Mit einem überraschenden Tonartwechsel ertönt das Flöten-Thema von 8:07 erneut, jedoch drei Halbtöne höher als zuvor. Eine Art synthetisches Glockenspiel leitet schließlich über zum

17:09 Single-Demo-Thema, hier gespielt von einem leisen Flötenklang und mit Plastikgitarren-Picking unterlegt. Ab

17:42 setzt nach und nach das Orchester ein.

19:29 Es folgt noch einmal der Lenta Chorum in einer Art Schnelldurchgang mit verhaltener Instrumentierung.

21:01 Reprise des finsteren Teils des Lenta Chorum, dient hier aber nur als Überleitung zum

21:22 Guitar Adagio-Reprise. Wir hören erstmals echte Drums und kleine, aber effektive Läufe der Stratocaster.

23:21 Zum Abschluss noch einmal der unechte Chor, an den sich wieder ein kurzer Harfen-Teil anschließt, der den ersten Teil des Werks zügig und definiert beendet.


Slow Dance (Part 2)

Movement 5:

0:00 Ein einfacher Melodie-Loop aus Glockenspiel und Sequencer, dazu eine marschartige Snaredrum eröffnen die zweite Seite des Albums, es erinnert ein wenig an das Stück Preparation vom Camel-Album "Snow Goose" – nicht die schlechteste Vorlage!

2:12 Abgelöst von einem längeren Ambient-Stück mit schwebenden Synthesizer-Akkorden und mehreren monophonen Synthies mit Reed-artigen Klängen.

4:15 Ein langsam treibender Rhythmus, monotoner Bass, Shatter-Echos auf Bassdrum und Snare, erst nach über einer Minute kommt der erste Akkordwechsel.

6:10 Die Drums setzen aus, nur ein Schellenkranz scheppert leise weiter,

6:37 künstliche Chimes leiten über zu einer

6:57 Oboe, die sich mit schrecklich billig klingenden Orchester-Hits auseinandersetzen muss,

7:27 bis sie abgelöst wird von einigen simplen Melodien. Alles plätschert so dahin, elektronische Drums, es klingt wie die Begleitautomatik aus billigen Heimkeyboards.

9:00 Vier laute, leicht dissonante Akkord-Schläge beenden dieses Movement überraschend.


Movement 6:

9:22 Beginnt mit schnell-flirrenden Sequencern, darüber Synthie-Flöte, Klarinette, ein Lead-Synthi spielt kurz das „Single-Demo“-Thema an, das Orchester setzt ein, es klingt beinahe wie Filmmusik, dramatische Tonartwechsel, dann wieder das Hauptmotiv des Lenta Chorum kurz zitiert, dann ein abruptes Ende nach vier weiteren lauten Schlägen, die diesmal mit ihren Echos wie Schüsse klingen.

12:15 Ein G#-Bass-Drone wird aufgebaut, steigert sich langsam, Akkorde schwirren herum, dann die scheinbare Auflösung nach C, dennoch bleiben Dissonanzen stehen.


Movement 7: "No Way Out"

14:18 Bei weitem das spannendste Arrangement des Albums, elektronische Drums, das Orchester ist in Hochform, eine Trompete wird effektvoll eingesetzt, dann löst sich die Spannung etwas, ein leises Keyboard-Solo führt das Stück wieder zum Anfang zurück.

17:34 Kurz wird das Hauptthema des Lenta Chorum erneut zitiert. Ein zaghaftes Stratocaster-Solo drängt sich nicht in den Vordergrund, was schade ist. Ab

17:45 wird das Single Demo-Thema wieder aufgegriffen.

18:39 Alles bricht zusammen. Nur ein Flötensound besteht auf dem No Way Out-Thema, dahinter krachen Drum-Echos, ähnlich wie bei Vienna von Ultravox.


Movement 8:

19:24 Mit den schweren Eingangsakkorden des Lenta Chorum, diesmal in Zeitlupe gespielt beginnt das letzte Movement des Werks.

21:15 Rückkehr zum normalen Tempo. Die Flöte greift erneut das Thema auf.

22:29 Es wechselt etwas abrupt zum Eingangsthema aus Movement 5 (also dem Beginn der Seite 2) – der flirrende Sequencer fehlt, dafür gibt es zarte Sphärenklänge und an Frauenstimmen erinnernde Synthie-Figuren, warme, versöhnliche Akkorde, leichte, perkussive Klänge werden am Schluss beinahe zu zarten Chören – alle Instrumente plätschern langsam aus und so ist das Ende des Werks fast wie eine lange Ausblende.


Fazit:

Es hätte so gut sein können! – Anthony Phillips hat auf diesem Album viele starke Melodien mit oft überraschenden Harmonien gepaart, die Arrangements sind im Prinzip weltklasse, die Aufnahmetechnik überzeugt durch hervorragende Dynamik – nur mit der Instrumentierung hat er es sich leider zu häufig viel zu einfach gemacht. – Klar, Ende der 1980er Jahre waren digitale Synthesizer mit den käsigsten voreingestellten Sounds, die man zudem nicht wirklich groß verändern konnte, weit verbreitet – an den Klang eines Yamaha DX-7 oder seines hier eingesetzten nahen Verwandten Casio CZ 5000 war man gewöhnt. Im Booklet lobt Anthony diesen Synthesizer immer noch, vor allem diesen "super flute sound, which you wouldn't know it's a synth" - sorry, lieber Ant, aber die falsche Flöte erkennt man leider auch ohne klassische Ausbildung sofort!

Diese Sounds waren damals zugegeben hochmodern – so klang die aufkommende "New Age"-Musik – sie wirken inzwischen leider ziemlich angestaubt und werden sofort mit den "Eighties" oder den Panflöten-spielenden Indios in Fußgängerzonen assoziiert. Heute findet man sie ausschließlich noch in billigen Alleinunterhalter-Keyboards. Leider klingt das Album daher über weite Strecken so, als wäre es mit solchem Equipment eingespielt worden.

Der Einsatz des so primitiven wie (vergleichsweise) preiswerten Samplers Emax von der Firma E-mu (deren Hochpreis-Produkt „Emulator“ deutlich populärer und auch besser war) war vermutlich der größte Fehler, den Anthony Phillips hier begangen hat. Diesem Gerät haben wir u.a. die vielen einfach nur mies klingenden Nylongitarren zu verdanken – die Ant besser als echte Instrumente eingespielt hätte. Mir gegenüber gestand er einst auf Nachfrage, dass er damals einfach zu faul gewesen war, sich hinzusetzen und die Parts auf echten Gitarren einzuüben.

Immerhin, einen älteren, voll-analogen Roland Jupiter 8-Synthesizer listet das Booklet ebenfalls auf. Er wurde zum Glück für die warmen Streicherklänge und die vollen Akkorde im Hintergrund verwendet, daher klingen zumindest diese Passagen, die oftmals mit dem Orchester überlagert werden, herausragend gut.

Aber es sind nicht nur die Sounds – echte Instrumente sind ja durchaus eingesetzt worden, leider sind sie vorwiegend in den Hintergrund gemischt und oft kaum herauszuhören. So klingt das Album über weite Strecken leider nicht viel besser als die unsäglichen "Fantasy Strings", die bis noch vor einigen Jahren die hochbetagte Hörerschaft von WDR 4 allabendlich in den verdienten Schlaf gesäuselt haben.

Zu Anthony Phillips' Entlastung: Die Aufnahmen gestalteten sich seinerzeit schwierig und technisch ambitioniert. Eine geliehene, semi-professionelle Fostex 16-Spur-Maschine brachte zwar ein wenig gestalterische Freiheit, jedoch spielte er das Album weitestgehend ohne Klicktrack oder andere Synchronisations-Vorgabe ein, musste also für jeden Part jedes Instrument in der vorgesehenen Reihenfolge nacheinander einspielen. Als schließlich alles so gut wie fertig war, kam Co-Producer Simon Heyworth nicht umhin, echte Streicher vorzuschlagen (was mich überhaupt nicht wundert). Dafür brauchte man natürlich mehr Spuren, also wurde eine zweite 16-Spur-Maschine gekoppelt und das Orchester in den Londoner CBS-Studios aufgenommen. Mehr Spuren bedeutete jedoch mehr Hände für das Abmischen (eine Automation war in Ants Homestudio nicht vorhanden). Zum Glück fand er immer wieder Leute, die ihm bei der Fertigstellung halfen. Auch finanziell, denn seit der Pleite seines US-Labels Passport war er ohne Plattenvertrag und damit auch ohne Vorschüsse. Zum Glück kam er schließlich mit dem fertigen Album bei Virgin Records unter, die auch seinen Backkatalog neu (und erstmals auf CD) veröffentlichen wollten. "Slow Dance" erschien jedoch als erstes – und wurde durchaus ein Erfolg – vor allem bei seinen Fans.

Es hätte jedoch viel besser sein können! – Wieviel besser, zeigen ansatzweise einige der Tracks auf der Bonus-CD, die dem ansprechend gestalteten Fünf-Panel-Digipack beiliegt und der man den Titel "Slow Dance-Vignettes" gegeben hat. Insbesondere die beiden Alternativ-Mixe von No Way Out zeigen klar, wie mit einfachsten Mitteln Großes hätte entstehen können:


Themes from Slow Dance
fasst die wichtigsten Orchester-Motive des Albums zusammen in einer dreieinhalbminütigen Suite, sehr gut aufgenommen, glasklarer Sound

No Way Out (alternate mix)
Mein Favorit der zweiten CD – so hätte "Slow Dance" klingen können, wenn man die akustischen Gitarren in den Vordergund gestellt hätte. Anthony Phillips spielt hier keine halsbrecherischen Sachen, sondern vergleichsweise simple Arpeggien, aber es ist eine echte Nylongitarre, welche Wohltat, mit der das Orchester hervorragend harmoniert.

A Slower Dance
Hierbei handelt es sich um eine Art Kurzfassung von "Slow Dance". Mit einem leider etwas starren Elektro-Rhythmus und einem irgendwann nervig werdenden Sequencer-Gebimmel werden die wichtigsten "Slow Dance"-Themen in fünfeinhalb Minuten aneinandergereiht. Verzichtbar.

Guitar Adagio from Slow Dance
Hier hat man einen neuen Mix des Finales von Part 1 (ab ca. 21:22) hergestellt, erneut mit der Betonung der hervorragend gespielten Melodielinien und Arpeggios von Anthonys Stratocaster, die im Originalmix leider etwas untergeht.

Touch Me Deeply (demo)
Kommt mir ziemlich bekannt vor, ohne dass ich das Stück spontan identifizieren könnte. Halt ein sehr eingängiges Demo, das quasi nebenbei, während der Album-Sessions aufgenommen wurde. Dominierendes Instrument ist ein Piano, leider ziemlich mit Käseschmiere-Synthie-Akkorden zugekleistert. Endet in einer Ausblende, in der man ab und zu eine Gitarre zu erkennen glaubt.

Clarinet Sleigh Ride
ist das zweite dieser Nebenbei-Demos. Außer dem zeitlichen gibt es auch hier keinerlei Bezug zu "Slow Dance". Hier dominiert neben der namensgebenden (leider synthetischen) Klarinette auch ein ziemlich monotoner Sequencer. Wenn die Klarinette spielt, passt der Titel. Leider alles viel zu lang.

Slow Dance single demo (alternate mix)
Für eine mögliche Single-Auskopplung wurde seinerzeit vorsorglich ein Single-Mix angefertigt, dazu bediente man sich des Hauptthemas von Seite 1, das zum ersten Mal ab 7:45 min zu hören ist, hier jedoch mit synthetischen Drums und Percussions sowie mit den käsigsten Synthiesounds angereichert ist, die man sich vorstellen kann. "The Sound of Muzak", furchtbar! - Das Demo befand sich bereits auf der ersten "Archive Collection"-CD; hier gibt es jedoch einen Remix mit etwas stärkerer Betonung der Keyboards (als wenn das nötig gewesen wäre...). Die Single-Idee fand Virgin natürlich nicht so super, deshalb wurde nichts draus.

No Way Out (original mix with drums)
Tatsächlich hatte man für diesen Höhepunkt des Albums echte Drums mit Ian Thomas aufgenommen, später jedoch entschieden, diese ausgerechnet hier wegzulassen – das muss man sich einmal vorstellen! – Allerdings, so wie dieser Track abgemischt ist, kann man das durchaus in etwa verstehen, hätte man die Drums stattdessen etwas spektakulärer in den Vordergrund gestellt, wäre das dem Stück jedoch durchaus dienlich gewesen.

Lenta Chorum
Hier bekommen wir noch einmal das Thema, mit dem "Slow Dance" beginnt und auch endet, als alleinige Orchester-Fassung vorgeführt. Kraftvoll gespielt, leider sehr kurz.


Mit nicht einmal 32 Minuten Laufzeit sind die "Vignetten" insgesamt etwas kurz geraten. Ein paar Alternativmixe mehr hätten mir hier gut gefallen können. Auch das "Slow Dance"-Outtake The Burnt-Out Cattle Truck Hits The Road hätte hier noch gut gepasst, auch wenn es nicht weiter von Belang ist und bereits auf "Archive Collection Vol. 1" veröffentlicht wurde.


Abschließend noch ein Kommentar zur 5.1-Abmischung, enthalten auf der DVD dieser Edition in dts und Dolby Digital: diese ist recht konservativ und daher nicht gerade mutig ausgefallen. Leider, kann man sagen, wenn man sich gewünscht hätte, dass die Gitarren nun doch endlich etwas besser hätten zur Geltung kommen können. Zum Glück, kann man sagen, wenn man das Album so hören möchte, wie man es seit fast 30 Jahren kennt, nur halt ein bisschen räumlicher.

Mehr hat man nämlich nicht gemacht; in den Surroundkanälen finden sich keine isolierten Instrumente, nur die Hallfahnen. Ich neige eher dazu, dies angesichts des Potenzials dieses Albums und der ausgesprochen gelungenen Remixe auf der Bonus-CD doch ein wenig schade zu finden.


(Diese Rezension erschien am 30.4.2019 auf der Webseite des Deutschen Genesis-Fanclubs. Fotos von dort © Esoteric Records/Deutscher Genesis-Fanclub)

Mittwoch, 30. Januar 2019

STEVE HACKETT - At The Edge Of Light (2019)

Hab es gestern runtergeladen und in der Bahn nach Hause gehört, mal ohne was zu lesen dabei, also richtig konzentriert (was ein wenig schwer fiel). Bin dabei bis zur Mitte von Hungry Years gekommen. Heute morgen dann Hungry Years neu gestartet und den Rest gehört. Habe dann kurz gedacht, er habe da eine Art Coda eingebaut, wo sich Melodien vom Anfang am Ende wiederholen - das kam mir doch zunehmend bekannt vor - bis ich bemerkte, dass der Spotify-Player wieder zum Anfang des Albums zurückgesprungen war. Immerhin konnte ich so den Nachweis eines Wiedererkennungs-Effekts führen...:)

Das Album hinterlässt beim ersten Hören einen (wie immer bei Steve) zwiespältigen Eindruck. Die instrumentalen Passagen sind mir einerseits oft zu aufdringlich laut und dicht, da knattert und kracht es überall und Gitarrensoli werden überall mit Highspeed reingestreut, dazu ballert ein extrem unruhiger Bass - andererseits sind mir dann die ruhigeren Stücke zu banal, zu vorhersehbar, zu poliert. Insbesondere die Effekte auf den Hackett-Chören sind nervig, zum Glück gibt es doch mehrere Stücke, bei denen Steves Stimme völlig trocken nach vorn gemischt ist. Das ist mutig und es funktioniert. Hätte ich gern überall so gehabt. Der Gitarrist Steve Hackett scheint zudem fast völlig vergessen zu haben, dass seine große Stärke nicht in der Geschwindigkeit liegt - aber das kritisiere ich schon lange an ihm.

Klar, der Sound ist kritikwürdig, noch mehr allerdings die Arrangements. Steves und Rogers Idee von Prog ist offenbar alles gleich laut und nach vorn zu mixen, dadurch fehlt echte Dynamik und Durchsichtigkeit. Auch muss wohl ständig ein Orchester mitfiedeln. Da fehlen mir vor allem auch die Soundideen - das ist so doch alles sehr klassisch-konventionell (und damit wenig "progressiv").
Was Mix und Mastering angeht, ist mir bisher (unter Kopfhörern) nur aufgefallen, dass viele Stücke etwas höhenarm klingen - eine kleine Anhebung (ca. 2 dB) im Bereich um 4,5 kHz hätte den etwas muffigen Sound m.E. deutlich erfrischt. Außerdem ist mir bei einigen Stücken eine sehr schmale Stereobasis aufgefallen. Hätte man die Instrumente weiter aufgefächert und auch mal ganz nach links oder rechts verteilt, hätte davon auch die Transparenz profitiert.

Auf der positiven Seite: ich denke, das Album wird beim mehrfachen Hören noch deutlich gewinnen - habe heute morgen ja (aus Versehen) die ersten vier Songs erneut gehört und kann nur sagen, dass sie mir schon deutlich besser gefallen haben als beim ersten Mal.