Donnerstag, 16. Mai 2013

STEVEN WILSON - The raven that refused to sing (and other stories) (2013)

Vielleicht ist es noch zu früh, nach eindreiviertel Durchläufen des Albums schon meine Eindrücke aufzuschreiben, aber ich versuche es trotzdem mal. Muss vorausschicken, ich habe mir die CD+DVD-Version besorgt, weil ich die Verpackung der BluRay einfach mies finde. Das ist die übliche blau-transparente Plastikschachtel mit der billigen Folie außendrum, in der ein simples, einseitig bedrucktes Blatt liegt. Passt nicht im Entferntesten zum Artwork des Albums. Es soll zudem auch nur ein achtseitiges Faltbooklet enthalten sein statt des 40seitigen Booklets der Digipak-Deluxe-Ausgabe. DTS 24/96 ist ohnehin genauso gut wie Master HD von der BluRay und ob ich die Instrumentalversionen der einzelnen Songs brauche, weiß ich noch nicht. Ohnehin ließen sie sich nicht an einem Stück hören, was ich recht ärgerlich fände.
Grafisch finde ich die Vepackung der mir vorliegenden Ausgabe schon mal hervorragend. Illustrationen und die spärlich eingesetzte Typografie harmonieren geschmackvoll und bereits jetzt ist festzustellen, dass es sehr gut zur Musk passt.

Die Musik, ach ja:

Luminol ist jetzt nach dem vierten Durchlauf schon fast "gewohnt" (die ersten zwei Male hab ich die Stereoversion des "VISIONS"-Samplers gehört). Und es ist schon seltsam: hat man anfangs noch das Gefühl, nicht zu verstehen, was die einzelnen Passagen miteinander zu tun haben, verschwindet das nach mehreren Durchläufen und das große Ganze wird sichtbar. Der Surroundmix fächert das Klangbild sehr schön auf und die anfangs recht lang und anstrengend erscheinenden 12 Minuten erscheinen plötzlich leichtgewichtiger. Nick Beggs tritt ein paar Mal deutlich hervor und auch bei Theo Travis' Tröten hätte es gut auch eine Nummer kleiner getan. Gefällig sind dagegen die jederzeit vertraut klingen Mellotron-Flöten, die spontan an Moody-Blues-Paradestücke erinnern. Etwas weniger Sologedudel und das Stück wäre richtig gut.

Drive Home
kommt dagegen fast schon poppig herüber, erinnert an Blackfield-Glanzzeiten oder Lazarus. Pink Floyd schimmert hier sehr stark durch, auch weil eine Slide-Gitarre zu hören ist. Dazu ein feines Orchester, alles schön ausbalanciert und auf Schönklang optimiert. Leider drehen Sologitarre und Drums gegen Ende hin etwas durch, aber nur kurz. Melodisch hätte es hier ruhig ein wenig mehr sein dürfen.

The Holy Drinker fängt ohne erkennbare Struktur an, alle Instrumente scheinen munter drauflos zu improvisieren, nur gehalten von einem kurzen, sich regelmäßig wiederholenden Unisono-Riff. Nach einer kurzen Zäsur beginnt dann der Gesangspart, der recht spannend klingt, allerdings nach kurzer Zeit schon erkennen lässt, dass es hier ebenfalls keine richtige Melodie gibt. Jetzt fängt langsam der Drummer an zu nerven, dessen Ziel es offenbar ist, keinen einzigen Groove zuzulassen. Immer wenn man denkt, jetzt geht es aber mal ab, schiebt er einen schaut-mal-wie-toll-ich-bin Absurdbreak ein, der den Rhythmus schreddert und wenig Wohlbehagen zulässt. Ich muss gestehen, ich habe ein Problem mit Freejazz und mich nervt das Gedudel schnell. Zum Glück dauert es hier nicht immer allzu lang und wird durch eingeschobene, durchaus interessante Passagen unterbrochen. Eine zweite Gesangspassage, extrem ruhig, wird abgelöst von krachenden, Metal-mäßigen Gitarrentönen, auf die wiederum ein Mellotron-Chor ertönt. Mit leisem Wolfsgeheul klingt das Stück aus.

The Pin Drop erinnert stark an Pink Floyds Animal-Album, leider singt Wilson hier anfangs in einer Tonlage, für die seine Stimme definitiv nicht gemacht ist. Später gibt sich das zum Glück und sorgt für den vielleicht stärksten Moment auf diesem Album. Seine anhaltende Melodieschwäche scheint er im Mittelteil mit einer Art Kinderlied-Anleihe kompensieren zu wollen, das hilft ihm aber auch nicht viel weiter. Dennoch ein ganz starker Song.

Bei The Watchmaker war ich gestern abend beim ersten Hören tatsächlich eingeschlafen, obwohl es erst kurz nach halb elf war, wo ich eigentlich noch hellwach zu sein pflege. Die bereits viel geäußerten Genesis-Zitate waren mir jedoch gestern bereits aufgefallen - der Song klingt anfangs wie eine Mischung aus Supper's Ready und Cinema Show. Hab ich keine Probleme mit, im Gegenteil. Für Wilsons Verhältnisse klingt der Song enorm melodisch. Sehr schön auch der Klaviereinsatz und die 12-string Akustikgitarre, die eher verhaltene Sologitarre und das Mellotron, das fein aus den hinteren Speakern klingt. Später klingt es jedoch wieder etwas nach Pink Floyd und Porcupine Tree, was der Kontinuität des Songs jedoch überhaupt nicht schadet. Gut, mit "dududu" und "tadada"-Vocals konnte ich noch nie viel anfangen, aber wenn einem kein Text einfällt, muss man das wohl so machen. Leider fällt der Song danach wieder leicht auseinander, Sinnlos-Breaks, bedrohliche Chöre und Krach-Passagen steuern allmählich auf den Höhepunkt zu, der aber nicht kommt, der Song ist stattdessen irgendwie zuende. Trotz einiger Irritationen und nicht immer zu erkennender Struktur ein tolles Stück, das ich mir sicher öfter anhören werde.

The Raven..., das Titelstück. Das kannte ich schon von diesem Vorab-Videoclip, den es hier seltsamerweise nicht zu sehen gibt, stattdessen dreht sich auf dem TV immer noch der halbdurchsichtige "Planet" mit seinen sich überblendenden Grafiken, was allerdings schön gemacht ist und gut zur Musik passt. Der Song plätschert anfangs so dahin und wird dann mit dem Einsatz der Drums etwas lebendiger und verdichtet sich zu einer schönen Ballade, der es jedoch -auch hier wieder- etwas an Melodiösität fehlt. Längst nicht so langweilig, wie ich ihn zusammen mit dem Video in Erinnerung hatte.

Fazit:
Sehr gutes Album, dem nur hier und da vielleicht das gewisse Etwas fehlt. Die Kompositionen an sich scheinen nicht immer stark genug, aber die meist hervorragenden Arrangements reißen es immer wieder raus. Der Surroundsound ist toll, wenngleich es hier nicht allzu viele Überraschungen gibt, was die Verteilung der Instrumente angeht, dafür aber jederzeit transparent und perfekt balanciert. Die beiden hinteren Lautsprecher sind den drei vorderen nahezu gleichberechtigt - so soll es sein.

Ob es jedoch ein Meilenstein in der Geschichte des Progressive Rock ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Das neue Doppelalbum von Biffy Clyro ("Opposites") gefällt mir da jederzeit besser, auch wenn der Vergleich sich natürlich eigentlich verbietet, denn die kommen ja aus einer ganz anderen Ecke. Dennoch hätte ich einen etwas höheren "Rock"-Anteil durchaus auch hier begrüßt - etwas mehr Agressivität und Spontaneität, etwas mehr Biss, etwas mehr Struktur, dafür etwas weniger Gefrickel hätten dem Album hier und da gut getan. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau. Beste Songs: The Pin Drop und The Watchmaker, schwächster Track: The Holy Drinker.


Nachtrag 17.3.: 
Ich habe inzwischen noch ein paar weitere Durchläufe hinter mir, wobei ich diesmal einige Songs auch einzeln angewählt habe. Mein erster Eindruck scheint sich zu verfestigen, allerdings sieht es so aus, als würde mein Favorit Pin Drop einzeln gespielt etwas verlieren. Auch The Raven... fängt nach häufigerem Hören an, etwas zu nerven, besonders diese ständig wiederholten vier Töne. Als Kontrastpunkt nach Watchmaker kommt das deutlich besser. Ich denke, das ist ein Zeichen, dass die Tracks besser im Gesamtkontext funktionieren als für sich allein genommen. Also doch ein Gesamtkunstwerk...